Schubladendenken – Weshalb es nervt

Zuerst einmal zu mir: Ich nutze keine Label und bin kein Teil der queeren Community. Mir ist egal, wie andere Menschen mich sehen, oder mit welchen Labeln sie mich schmücken.

Ich rede nicht viel darüber. Das liegt aber nicht daran, dass es mir peinlich ist, ich mich verstecken möchte, oder es mir damit schlecht geht. Es ist eine Sache, die mir mehr oder weniger egal ist. Aber eben leider nur mehr oder weniger.

Fremde Menschen dürfen in mir sehen, was sie wollen. Für viele Menschen ist es unverständlich, dass es mich nicht verletzt, gewisse Sprüche zu hören, einem falschen Geschlecht zugeordnet zu werden, oder mit anderen Erwartungshaltungen geschmückt zu werden, doch es ist eben so.

Bei Menschen, die ich gerne habe, sieht die Welt allerdings etwas anders aus. Da ich nur wenigen Menschen sage, dass ich nicht in das Bild einer Cis-, Heteroperson passe, ist es nicht verwunderlich, dass es nicht jeder weiß. Wie schon gesagt lege ich wenig Wert darauf, da ich es hasse, in Schubladen gesteckt zu werden. Mir ist wichtig, dass diese Menschen meinen Charakter sehen und mich danach beurteilen. Ich bin ein Mensch, keine Schublade!

Neulich sagte mir eine Person, mit der ich aktuell viel Zeit verbringe, dass es etwas nicht geben würde, das ich früher als Label verwendet hatte. Zu meiner Überraschung ließ es mich nicht kalt und ich musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht mit dem Satz „Hey, ich existiere nicht“ um die Ecke zu kommen. Zum Glück waren wir zu dritt und die dritte Person hat das Thema abgelenkt und sich später an diesem Tag mit mir zusammengesetzt. Durch ein stundenlanges Gespräch mit dieser Person sind an diesem Tag 2 Dinge klargeworden:

1. Anscheinend ist es für mich doch schmerzhaft, so einen Satz gesagt zu bekommen, zumindest wenn er von der richtigen Person kommt. Bisher ging jede Aussage in diese Richtung an mir vorbei, sie interessierte mich absolut nicht. An diesem Tag wurde mir klar, dass es bei nicht fremden Menschen anscheinend anders ist.

2. Meine Überzeugung, dass man mit jedem Menschen reden sollte und versuchen sollte, ihm zu erklären, was er da gerade sagt, ist nicht immer richtig. Nachdem ich mit der dritten Person geredet hatte, sind wir beide auf das Ergebnis gekommen, dass es unter den aktuellen Umständen der anderen Person nichts bringen würde, es ihr jetzt zu erzählen. Diese Aussage war reine Unwissenheit, ausgelöst durch gewisse Umstände, die zu dieser Unwissenheit führen. Dieser Umstand hat dazu geführt, dass ich es recht schnell verkraften konnte.

Ich engagiere mich aktivistisch und mache daraus auch kein Geheimnis. Ich erzähle gerne und oft, was ich mache, wofür ich mich einsetze und was ich gerne verändern würde. Ich möchte nicht in (queere) Schubladen gesteckt werden, und als ich unter anderem deshalb meine Label abgelegt habe, habe ich es im festen Glauben getan, damit den ungeliebten verurteilenden Schubladen zu entkommen, doch habe ich dabei leider nicht bedacht, dass auch der Aktivismus eine Schublade voller Vorurteile sein kann.

Neulich hatte ich ein Gespräch über Musik, welches ich mit zwei Menschen geführt habe. Wir haben uns über ein Lied unterhalten, das bei manchen Menschen einen sehr schlechten Ruf hat. Ich gehöre allerdings zu den Menschen, die dieses Lied mögen, und die es nicht als kritisch ansehen. Als ich das mitgeteilt habe, wurde von den anderen beiden Seiten verhalten reagiert. Dieses Verhalten hat dazu geführt, dass ich die beiden gefragt habe, ob ich von ihnen als prüde angesehen werde, was sie halbwegs verneinten.

Nach weiteren Nachfragen stellte sich heraus, dass die beiden wegen meiner Teilnahme am queeren Aktivismus so verhalten reagiert haben. Das Lied stand unter anderem bei aktivistisch engagierten Menschen in der Kritik und dass ich es mag, hat für die beiden nicht dazu gepasst, dass ich mich selbst aktivistisch betätige.

Es war ein Moment, in dem dieses ‚In Schubladen gesteckt werden‘ wieder einmal Wut und Trauer in mir ausgelöst hat. Mir ist bewusst, dass Menschen für alles in Schubladen gesteckt werden können, und es macht mir nichts aus, wenn das wegen meines Kleidungsstils, meines Musikgeschmacks oder anderen Charakter bezogenen Eigenschaften passiert. Ich mag lediglich keine Schubladen, die mit Anforderungen an ein gewisses Verhalten oder mit Regeln einher kommen, die die Person erfüllen sollte, nur weil sie für andere Menschen in diese Schublade passen könnte.

Nur weil ich ein Lied mag, das von anderen anders betrachtet wird, als von mir, bedeutet das nicht, dass ich meine aktivistische Arbeit schlecht mache. Ich bin kein Mensch, der auf die Straße geht und der sich laut für eine Sache einsetzt. Ich mache das im Hintergrund und ich mache es auf meine Weise. Weder mein Musikgeschmack, noch eine andere meiner charakterbezogenen Vorlieben entscheiden darüber, ob ich in diese Schublade passe, oder nicht.

Ich möchte nicht, dass Menschen mit Erwartungen ankommen, wie ich zu sein habe, was einer der Gründe ist, weshalb ich diese Arbeit im Hintergrund erledige. Ich möchte Sichtbarkeit für jeden Menschen, der sichtbar sein möchte. Und ja, dieses Ziel passt zu mir, auch wenn ich selbst nichts lieber möchte, als unsichtbar zu bleiben und unter dem Radar zu schwimmen, doch es geht anderen Menschen eben anders als mir, und diese sollten gesehen werden. Ich kann mich für queere Themen einsetzen, auch ohne mich zu labeln, in eine Schublade zu stecken oder mich als Teil der queeren Community zu sehen.

Ich habe Werte und diese vertrete ich, trotzdem muss ich kein Schubladen-Klischee erfüllen oder gar in eine Schublade passen, um für das zu kämpfen, das mir etwas bedeutet. Dass ich mich aktivistisch engagiere bedeutet ebenfalls nicht, dass ich alles weiß, oder alles genauso sehe, wie andere Menschen, die sich in diesem Bereich engagieren. Es nervt mich, dass ich sogar bei dieser guten Sache wieder mit einer Erwartungshaltung betrachtet wurde, der ich nicht gerecht werden möchte. Zum wiederholten Mal wurde ich nicht als Mensch, sondern als Schubladen-Angehörender angesehen, obwohl ich so viel mehr bin, als eine Kiste mit Erwartungen!

~ Anonym