Aromantische Freizeitgestaltung?
Gibt es so etwas?
Und wenn ja, was bedeutet das überhaupt? Unterscheidet sich die Freizeitgestaltung von Menschen auf dem aromantischen Spektrum denn groß von der anderer? Und wie ist das mit meiner Aromantik? Hat sie einen Einfluss darauf, wie ich meine Freizeit verbringe? Oder eher darauf, wie ich meine Freizeitgestaltung bewerte?
Ob ich meine Zeit nun anders verbringe als meine alloromantischen Freund*innen, darüber lässt sich wohl streiten. Und bestimmt verbringen auch romantische Pärchen mal absolut aromantische Abende gemeinsam, bei denen sie sich lange unterhalten und Spazieren gehen, wie ich es mit Freund*innen mache. Klar, solche aromantischen Situationen unter romantischen Partner*innen können wohl auch leichter in eine Situation umschlagen, die von den Beteiligten dann doch als romantisch bewertet wird. Diese Möglichkeit besteht nicht wirklich, wenn ich mit Freund*innen unterwegs bin, selbst wenn sich unsere Spaziergänge nicht sonderlich von denen unterscheiden, die ich mit meinem letzten romantischen Partnermenschen unternommen habe. Dasselbe gilt für das gemeinsame Kochen und einen Nachmittag zusammen verbringen. Abgesehen davon, dass es dann doch manchmal in eine „romantisch gelesene“ Situation umschlägt und eventuell doch zu Kuscheln und ähnlichem Körperkontakt kommt, unterscheiden sich die beiden Nachmittage nicht sonderlich voneinander. Und um ehrlich zu sein, waren es gerade diese romantisch „aufgeladenen“ Momente, die mich wieder und wieder auf meine Aromantik gestoßen haben.
Also, gibt es vielleicht keinen so großen Unterschied, abgesehen davon, dass ich in einer romantischen Beziehung mehr dazu tendiert habe oder teilweise geradezu von mir erwartet wurde, meinen Partnermenschen über alle anderen Beschäftigungen zu priorisieren oder miteinzubeziehen. Dadurch hatte ich nicht nur weniger Zeit mit Freund*innen (mit denen ich eventuell sehr ähnliche Aktivitäten ausführe), aber es kamen auch andere Beschäftigungen zu kurz. Es ist sicher so, dass auch alloromantische Personen in Partner*innenschaften Freizeitaktivitäten haben, die sie alleine – sprich ohne den oder die jeweiligen romantischen Partnermenschen – ausführen, aber wenn ich meine eigene Freizeitgestaltung so betrachte, merke ich, dass das bei mir doch gar nicht so wenige Aktivitäten waren. Und wenn ich in einer romantischen Beziehung bin, merke ich, wie ich an diesen Stellen kürzen muss. Mal beim Schreiben, mal beim Zeichnen, mal beim Kochen oder auch beim nach Uni oder Arbeit den längeren Fußweg nach Hause nehmen und dabei in Ruhe die eigenen Gedanken durchzugehen. Ich bin sicher, auch eine alloromantische Person kann all diese Aktivitäten in ihrer Freizeit durchführen, zumal sie wohl auch mal Single ist, aber ich verbringe da dann doch einiges an Zeit damit. Zeit die ich nicht mehr in dem Ausmaß habe, wenn ich in einer Partner*innenschaft bin. Und dann frage ich mich ehrlich: Wie um alles in der Welt schaffen manche Menschen es, in einer Partner*innenschaft zu sein und ihre Freizeit trotzdem noch halbwegs so zu gestalten wie vorher? Nicht zwangsläufig aromantisch aber eben ähnlich wie bevor sie in einer Beziehung waren. Naja, das ist vermutlich einfacher, je weniger Freizeitaktivitäten eine Person grundsätzlich alleine ausübt (also wo überhaupt nicht die Chance besteht, dass die Aktivität romantisch wird), aber ich für meinen Teil habe das Gefühl, dass meine Freizeitgestaltung sich ändern muss, wenn ich in einer romantischen Beziehung bin. Joa, zeichnen kann ich auch mal mit einer anderen Person und habe ich durchaus auch schon mit einem romantischen Partnermenschen gemacht, aber um ehrlich zu sein, fühlt sich das dann anders an. Ich komme nicht auf dieselbe Art in den Flow wie normal und muss mir vorher überlegen, was von meinen Ideen ich wie umsetzen möchte. Beim Schreiben geht dann zu zweit gar nichts mehr, solange nicht in genügend Abstand zueinander schweigend in einem Raum gesessen wird und irgendwie abgemacht ist, dass die andere Person nicht mal random auf meinen Bildschirm oder meinen Block schaut. Und selbst dann ist meine Konzentrationsfähigkeit nicht dieselbe wie allein. Die Anwesenheit einer anderen Person lädt den Raum auf und ich kann mich nicht allein mit meinen Gedanken beschäftigen. Wie wäre es, wenn ich mit einem Partnermenschen zusammenziehen würde? Ich glaube, ich müsste meine Tür abschließen und eine Vereinbarung treffen, dass immer angeklopft wird, bevor das Zimmer betreten werden darf. Ansonsten würde das Gefühl, dass mein Partnermensch jederzeit hereinkommen könnte, wohl auch etwas mit mir machen. Das würde ich selbst natürlich auch tun, wenn erwünscht und war schon als ich noch daheim gewohnt habe ein Problem.
Ähnlich bei anderen Aktivitäten.
Um meine Freizeit – oder auch nur den Teil davon, den ich nicht mit meinem Partnermenschen verbringen würde – in einer romantsichen Beziehung weiterhin halbwegs so zu gestalten wie während ich Single bin, müsste ich dann doch einige Vorkehrungen und Abmachungen treffen, von denen einige wohl nicht mit dem übereinstimmen, was üblicherweise den Vorstellungen einer romantischen Beziehung entspricht. Natürlich niemand zwingt mich dazu, mit einem romantischen Partnermenschen zusammenzuziehen und ich kann mir natürlich ausmachen, dass ich mal mehr mal weniger Zeit in die Beziehung investiere, weil ich eben auch eine ganze Menge an Zeit für „Aktivitäten ohne romantisches Potenzial“ (und dann sowieso noch Zeit für mich) brauche, aber das ist nicht, wie ich meine alloromantischen Freund*innen erlebe. Da wird – und das erfahre ich auch als Erwartung in einer romantischen Beziehung – der Partnermensch oder die Aktivität mit dem Partnermenschen zur Freizeitgestaltung Nummer eins oder zwei. Wann habe ich wieder Zeit sie zu treffen? Was machen wir gemeinsam? Die Kapazitäten, die ich für Freizeitgestaltung mit einem romantischen Partnermenschen habe erscheinen mir auch andere als bei meinen Freund*innen.
Wie ist es beim gemeinsamen Eis-Essen möglich plötzlich gekuschelt zu werden, oder ein Gesicht ganz nah an seinem eigenen zu haben? Das ist für mich nicht romantisch sondern eher total unpraktisch, wenn ich es so beschreiben kann. In den meisten Fällen wurde dann auch nicht wirklich gefragt. Meine mangelnde Partizipation wird dann mitunter durch Enttäuschung geahndet und ich frage mich, wie aus einer angenehmen (aromantischen) Freizeitaktivität mit dem Partnermenschen plötzlich ein (einseitig) romantisch gelesener Moment werden kann. Das ist ja grundsätzlich noch nicht einmal schlimm, aber ich hätte schon gerne etwas mehr Absprache, was meine Kapazitäten für romantische Momente an grundsätzlich mal normalen gemeinsam verbrachten Nachmittag anbelangt. Die ist nämlich auch nicht immer gleich und sobald ich Aktivitäten mit einem romantischen Partnermenschen einplane, muss ich das miteinberechnen. Meist ist es nämlich nicht die andere Person, die da ständig einen Gedanken daran verschwendet und wenn sie grundsätzlich zuhört und bereit ist, meine Grenzen zu einzuhalten, sollte das eigentlich kein Problem sein. Schließlich bin ich für die Kommunikation eben dieser Grenzen verantwortlich.
Bei meinen Freund*innen hingegen scheint das alles kein großes Problem zu sein. Eine große Menge an Zeit wird gerne für den Partnermenschen bereitgestellt und auf die Antwort, wie Menschen denn die Zeit für sowas finden, bekomme ich ein: „Naja, es macht auch nicht jeder so viel wie du. Und nicht jeder ist in Kontakt mit so vielen Freunden wie du.“ Vielleicht mache ich einfach zu viel, um eine romantische Partner*innenschaft gut in mein Leben einzugliedern, oder aber der Umgang mit meiner Zeit und Energie für romantisch konnotierte Situationen macht es schwierig.
Vielleicht liegt in der Art, wie ich meine Aktivitäten gestalte dann doch so etwas wie „aromantische Freizeitgestaltung“, auch wenn Situationen und Tätigkeiten nicht inhärent romantisch oder aromantisch sind, sondern es immer eine Frage von Lesart und Bewertung ist. Oder mir fehlt in manchen Dingen auch einfach die intrinsische Motivation dazu, die Extrameile zu gehen und Vorkehrungen zu treffen, sodass ich meine üblichen Freizeitaktivitäten trotz Partner*innenschaft einigermaßen gut ausführen könnte.
Kann sein, dass ich noch mal einen Grund finde, das zu tun.
Aber fürs Erste gehe ich stattdessen dann doch lieber meine Pflanzen umtopfen.
~ Finn