Der Morgen ist ruhig in der grünen WG.
Sonnenschein fällt durchs Fenster, die erste Palme reckt sich dem Licht entgegen. Ihre Freund*innen – ein bunt gemischter Haufen aus Orchideen, Palmen, Kakteen – folgen bald dem Beispiel mal lauter mal leiser. Betupfen das Wohnzimmer mit Grüntönen, beginnen ihr stummes Lied, das mich im Nebenzimmer weckt.
Viel hat sich hier nicht verändert in den letzten paar Jahren. Es gibt zwar einen queerplatonischen Partnermenschen, aber ich lebe immer noch gemeinsam mit meinen Pflanzen und die sind es, die mich in der Früh begrüßen, guten Morgen wünschen und mir die Blätter entgegenstrecken. Die ersten Lebewesen, denen ich am Morgen begegne, die mich ein paar Worte murmeln hören und immer mit derselben Ruhe und Frieden antworten.
Pflanzen gelten nicht als die Romantiker*innen schlechthin, aber könnte ich meine Beziehung zu ihnen als romantisch bezeichnen?
Sie begrüßen mich nicht nur am Morgen sondern auch nach der Arbeit am Abend.
Sie machen mir keinen Tee, nach einem harten Tag, nehmen mich nicht in den Arm.
Aber ich mag das Grün. Pflanzen um mich zu haben ist angenehm, erfrischend. Angenehm bei ihnen zu sitzen und zu entspannen. Ein wenig als würde ich mir Wald und Wüste gemeinsam nach Hause holen. Allein und doch nicht allein.
In der Umarmung des Grüns.
Hier trifft Aromantik Romantik.
Sie begrüßen mich friedlich aber leise. Ihr Gruß ist entspannter als die meisten Umarmungen – erst recht besser als solche, die ungefragt kommen. Wenn ich mich im Wohnzimmer aufs Sofa setze, erzählen sie mir schweigend, all ihre Geschichten. Und ich erzähle ihnen meine – Was so passiert ist, wieso es passiert ist. Was mich freut, ärgert, kränkt, beschäftigt … bei meinen Pflanzen ist das alles gut aufgehoben. Sie erzählen nichts weiter, sie urteilen nicht. Bei meinem Kaktus darf ich sein, wie ich bin und die Palmen erinnern mich schweigend daran, dass die Sonne immer noch scheint.
Ich muss mir keine Gedanken darüber machen, wie ich Dinge formuliere. Ich eine Person, die die Phrase „Ich bin + Adjektiv oder Objekt“ so lange überdacht hat, dass sie fast zu einer kleinen Unmöglichkeit geworden ist, mit all dem Ballast der que(e)r durch Zeit- und Philosophiegeschichte daran hängt. Aber bei meinen Pflanzen ist es nicht wichtig, wie ich mich ausdrücke. Sie hören zu, unterbrechen nicht. Und ab und zu, wenn meine Gedanken kreisen, erinnern sie mich daran, wieder geradeaus zu denken.
Jede*r wird gerne gesehen wie er*sie ist.
Ich auch.
Es versteht sich von selbst, dass ich meine Pflanzen alle bei ihrem Namen nenne – der steht unten am Topf, damit auch jede andere Person das kann.
Umziehen oder mit meinem Partnermenschen zusammenziehen, stelle ich mir schwierig vor. Für alle Pflanzen und Töpfe einen neuen Ort finden zu müssen ist schon ohne neue Dynamiken schwierig genug. Und während meine Kakteen ein wenig selbstständiger sind – manche wohl auch Berührungs-abgeneigt, wie sie mir mit dem einen oder anderen Stich schon mitgeteilt haben – brauchen die Orchideen mehr Aufmerksamkeit. Einen guten Platz, nicht zu viel Wasser aber bitte auch nicht zu wenig, die richtige Menge an Licht, also im Schatten aber nicht zu dunkel und Zugluft darf ihnen auch nicht gefährlich werden. Temperaturempfindlichkeit ist dann auch noch ein Thema bei manchen Pflanzen und den Platz zu wechseln, nicht immer einfach.
Und bevor jemand fragt: Nein, auf meine Pflanzen verzichte ich nicht.
Mein Partnermensch muss sich mit den Pflanzen verstehen und nicht umgekehrt.
Wer sie nicht akzeptiert, hat in meinen vier Wänden wenig zu suchen.
Meine Pflanzen würde ich nicht missen wollen, egal wie viel Arbeit es manchmal macht, sich um sie zu kümmern. Gießen, umtopfen und bei ihnen sitzen … ob ich dabei nun lese, zeichne oder einfach nachdenke.
Bei meinen Pflanzen kann ich alles machen. Und sie dürfen mir dabei sogar über die Schulter sehen. Eine Sache, die ich sonst eher als störend empfinde.
Immer wieder steht dann auch intimerer Kontakt mit ihnen an, wenn sie für den alten Topf zu groß geworden sind. Dann heißt es, shoppen gehen, je nachdem wie sicher eins mit der benötigten Topfgröße ist, eventuell auch mit Pflanze, um die Größe direkt im Laden zu prüfen. Das ist nicht ganz so schlimm, wie Klamotten kaufen. Pflanzen fragen immerhin nicht, ob ich denke, dass „der Topf ihnen steht“ oder ob die Farbe vielleicht ihre Blätter bleich macht. Das heißt, ich muss mir keine Gedanken über Ästhetik machen – ein Thema, dass ich nicht verstehe und mit dem mich Pflanzen glücklicherweise die meiste Zeit in Ruhe lassen.
Und wenn Topf und Erde dann mal besorgt sind, kommt es dann zur größten Nähe mit der eigenen Pflanze, wenn sie aus ihrem alten Zuhause befreit und in neue Erde umgesetzt wird. Ich denke, näher kommt man einer Pflanze kaum, als sie einzusetzen und die Erde rundherum anzufeuchten, sanft festzudrücken. Dann heißt es, hoffen, dass alles gut passt, am Ende alle zufrieden sind und keiner aufgrund der neuen Begebenheiten eingeht.
Niemand will schließlich pflanzliche Freund*innen verlieren.
Wirklich nicht.
Vielleicht absurd, dass mit Trennungsschmerz zu vergleichen, aber eine Pflanze nicht retten zu können, die Jahre lang bei mir in der Wohnung gestanden hat, ist enttäuschend, frustrierend und auch schmerzhaft. Menschen mögen vielleicht annehmen, dass man doch keine so enge Bindung zu einer Pflanze aufbauen kann, aber sie ist Teil meines Lebens, in meiner Wohnung, in meiner Verantwortung. Dass sie kein Tier oder Mensch ist, macht sie nicht weniger besonders, nachdem ich sie bei mir ins Wohnzimmer gestellt habe. Für mich bedeutet es Trauer, sie sterben zu sehen und es dauert eine Weile, ehe ich den Topf wieder für eine neue Pflanze verwenden kann. Es passt schließlich nicht jeder Topf auf jede Pflanze und eine Pflanze einfach zu „ersetzen“, fühlt sich auch nicht ganz richtig an.
Am Ende hat jede Pflanze ihre eigene Geschichte, wie der kleine Kaktus Spikey, der unsere WG vor zwei Jahren im Herbst verlassen hat. Ich hatte ihn von Italien nach Österreich mitgebracht, er stand Jahre hier in der Wohnung und es hat gedauert, etwas Neues an seinen Platz zu stellen. Es ist schließlich Spikey, der dort auf den Schrank gehört. Und die neue Pflanze sieht anders aus, hat einen unverwechselbaren anderen Namen.
Ist sie selbst.
Kein Ersatz.
Je mehr ich mich an den Anblick einer Pflanze in meiner Wohnung gewöhne, umso ungewohnter ist es auch, sie eines Tages dort nicht mehr zu sehen.
Um das Leben einer Pflanze zu kämpfen, kann nervenaufreibend sein.
Ich bin schließlich für meine pflanzlichen Mitbewohner*innen verantwortlich. Ist ja nicht so, als könnten sie sich selbst einen sonnigeren/schattigeren Platz suchen, sich vor Schädlingen schützen oder die Wassermenge bestimmen, die sie bekommen.
Vorzüge meines Partnermenschen sind vermutlich, dass er klarer kommuniziert, wenn etwas nicht passt. Ich bin also nicht darauf angewiesen, von Verfärbungen in Haut oder ähnlichen Problemen abzulesen, wie es demm gerade geht. Da werden nicht einfach Blätter gelb und fallen ab, wenn ich nicht rechtzeitig eine Lösung finde, oder das Problem nicht verstehe.
Wenn ich mal alleine sein möchte, kann ein Partnermensch meine Wohnung oder das Zimmer auch mal selbstständig verlassen. Gerade das ist mit Pflanzen eher schwierig. Die brauchen da viel mehr Hilfe und manchmal passt dann der neue Platz nicht wirklich oder macht andere Probleme.
Manchmal sind zwischenmenschliche Gespräche dann doch angenehmer, anregender und enthalten mehr Input von außen.
Und auch Kuscheln oder sexuelle Nähe geht mit einem Partnermenschen wohl besser. Kinky sind da maximal meine Kakteen – und für Bondage-Sessions müsste ich mir wohl eine Schlingpflanzen holen.
Es hat also durchaus seine Vorzüge, sich neben Pflanzen auch noch einen Partnermenschen zuzulegen, solange der sich mit ihnen versteht. Aber das alles geht – meines Erachtens nach – auch ganz ohne Romantik.
Manche Zungen mögen behaupten, dass meine Beziehung zu Pflanzen romantischer ist, als die die ich mit anderen Menschen führe.
Was auch immer Romantik hier bedeuten mag.
Das Candle Light Dinner mit meinen Pflanzen, steht aber noch aus.
~ Finn (Text für den Arospec-Week Poetry Slam 2023 zum Thema Aromantik trifft Romantik)