Obligatorischer Disclaimer: Dieser Text spiegelt ausschließlich meine persönlichen Gedanken und Empfindung zum Thema Küssen wider. Ich kann und will nicht für alle aromantischen Menschen sprechen, die Bandbreite ist wahnsinnig groß und wir sind alle unterschiedlich.
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Ich habe noch nie eine andere Person geküsst. Jedenfalls nicht auf den Mund. Ich bin knapp über 30 und bin bisher gut ohne diese Erfahrung durchs Leben gekommen. Und wahrscheinlich wird es, zumindest auf absehbare Zeit, auch so bleiben.
Allerdings habe ich das Ausbleiben an Kuss-Erfahrung nie wirklich mit Aromantik in Verbindung gebracht. Zumal ich erst vor 2 oder 3 Jahren wirklich gecheckt habe, dass ich mich auf dem aromantischen Spektrum bewege (und zwar ziemlich am aromantischen Ende). Ich bin nicht wirklich romance-repulsed und Formen von Zuneigung, die auch romantisch gelesen werden können, wie z.B. Händchen halten oder kuscheln, stören mich nicht. Ich bin aber nicht nur aromantisch, sondern auch asexuell. Und ich habe eine ziemliche Abneigung gegen alle Formen von Körperflüssigkeiten. Deshalb habe ich es immer mit meiner Asexualität in Verbindung gebracht, dass ich die Vorstellung vom Küssen auf den Mund wenig ansprechend gefunden habe. Wobei die Aromantik und der Umstand, dass ich noch nie eine romantische Beziehung geführt habe, wahrscheinlich zumindest insofern eine Rolle gespielt hat, als dass sich einfach nie die Gelegenheit ergeben hat eine andere Person auf den Mund zu küssen.
Einige Leute kennen vielleicht die Coming-Out-Komödie „But I’m a Cheerleader“ aus den frühen 2000ern. Für alle, die den Film nicht kennen, oder ihre Erinnerung auffrischen wollen, ist hier der Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=HnUvneNxoz8.
In dem Trailer kommt eine Szene vor, in der die Hauptfigur, Megan, von ihrem Footballer-Freund im Auto geküsst wird. Das ist natürlich absichtlich überzeichnet, aber dieser Kuss stellt im Grunde ziemlich gut dar, wie sich die Vorstellung vom Küssen für mich anfühlt.
Diese Abneigung gegen Küssen beschränkt sich wohlgemerkt auf Küsse auf den Mund. Ich habe einige befreundete Menschen oder Familienmitglieder, denen ich gelegentlich ein Küsschen auf die Wange gebe, besonders zur Begrüßung oder zum Abschied. Ich küsse regelmäßig das Fell meines Katers. Und wenn ich ein Baby auf dem Arm habe, liebe ich es dem kleinen Wesen ein Küsschen auf den Kopf zu geben. Von daher waren Küsse pauschal für mich nie etwas romantisches, nur Küsse auf den Mund. Und die finde ich eben aufgrund des Speichels wenig ansprechend, nicht wegen irgendwelcher romantischen Implikationen.
Wenn ich eine Geschichte lese, in der ein Kuss ausführlich beschrieben ist, mit den Emotionen, die dadurch bei der Person ausgelöst werden und den Gedanken, die dabei durch ihren Kopf gehen, dann löst das bei mir oft ein warmes Kribbeln im Bauch aus. Wenn ich hingegen im öffentlichen Raum ein Paar sehe, dass exzessiv am Knutschen ist, dann löst das eher Unwohlsein aus und ich schau schnell weg (ähnlich ist es in Filmen/ Serien). Wenn die Bilder nur in meinem Kopf entstehen, also beim Lesen, dann bleiben sie in gewisser Weise diffus und im Rahmen meiner Komfortzone. Wenn ich dem Küssen jedoch optisch ausgesetzt bin, habe ich keinen Einfluss auf die Bilder und fühle mich schnell unwohl.
Ohne also anderen Leuten den Spaß am Küssen zu verderben, ich wäre euch dankbar, wenn ihr es nicht in meiner Anwesenheit macht. Jedenfalls wenn es sich um mehr handelt als ein kurzes Küsschen. Ich möchte nicht Zeugin ausgewachsener Knutschereien werden. Und dabei spielt es auch keine Rolle um welche Gender-Konstellation es sich handelt. Da bin ich generell sehr schnell genervt und fühle mich belästigt.
Trotz dieses eher ambivalenten Verhältnisses zum Thema Küssen habe ich immer mal wieder den Gedanken, dass ich es schon irgendwann gerne mal ausprobieren würde. Da ist eine gewisse Neugier, ob es in der Realität vielleicht doch besser ist als ich es mir vorstelle. Denn meine Vorstellung ist eben eher eklig (Speichel) und auch voll von Unverständnis, was denn so toll daran sein soll, wenn sich zwei Paar Lippen berühren, ich kann mir absolut nicht vorstellen, was sich daran so großartig anfühlen soll. Bisher habe ich aber noch keine Person gefunden, mit der ich mich so wohl gefühlt habe, dass ich dieses Experiment wagen wollte, oder auch nur mich getraut habe diese Frage zu stellen. Denn schließlich ist mir sehr bewusst, was Küssen für Implikationen hat. Und ich will auf gar keinen Fall, dass bei der anderen Person falsche Erwartungen oder Begehrlichkeiten entstehen, die ich nicht erfüllen kann oder will.
Also alles in allem werden Küsse mir wohl noch eine ganze Weile ein ziemliches Mysterium bleiben. Aber das ist schon okay, ich habe eigentlich nicht das Gefühl, dass ich da was verpasse.
~ Gastbeitrag von Clara