Dahintreibende Seelen

Küssen, eine zarte, innige, manchmal auch heftige Berührung von Mund zu Mund. So einfach und doch so kompliziert. Es kann verschiedenste Ausprägungen annehmen und unterschiedlich kulturell konnotiert sein. Dabei reicht es von sich freundschaftlich Begrüßen und/oder Herzen, über romantisches Verschmelzen, bis hin zur reinen sexuellen Vorspielhandlung.

So weit, so schön nachgeplappert… Aber was bedeutet es für mich? Mir fällt dazu als erstes ein Zitat aus Goethes Faust ein:

„Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, die eine will sich von der anderen trennen […]“

Mein Gefühl zum Küssen ist genauso ambivalent. Auf der einen Seite ekelt es mich an, ggf. mit dem Speichel, etwaigen Magendüften und überhaupt einem anderen menschlichen Wesen so extrem nahe zu kommen.

Aber wenn mich meine (Demi-)Romantik gerade auf mein Gegenüber geprägt hat, kann ich mir nichts Schöneres und Angenehmeres vorstellen. Ich fühle mich im Moment der Vereinigung meiner Lippen, mit denen des anderen Menschen, höher, besser, weiter, kribbeliger als es nur irgendwie geht. Es ist ein Zeitvergessen, in den Moment eintauchen, zerfließen und pures Glück erleben. Naja, um ehrlich zu sein hängt die Stärke und Intensität auch davon ab, wie gut mein Gegenüber mit mir interagieren kann. Ich hatte da auch schon engelsgleiche Höhen und Tiefen, die sich eher nach halbtoter Nacktschnecke anfühlten, oder beides zugleich, aber das ist hier nicht das Thema.

Wie passen nun aber diese Gegensätze, vom absoluten Verabscheuen, mit dem unbedingten Wollen und dem Genießen, zusammen?

Tja, um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Ich denke es ist irgendwie flüssig, eine Art Quantenzustand mit mehr als nur einer Seele, welche sich dennoch nicht trennen, sondern in friedlicher Koexistenz miteinander leben und ineinander fließen können. Es bleibt für mich also spannend, mich meinen Seelen hinzugeben, sie zu beobachten, erforschen und mich in ihren tiefen Wassern treiben zulassen.

~ Gastbeitrag von Noir