Aromantik und Asexualität

Vor kurzem wurde ich gefragt, ob ich die Sunsetflagge oder die Flagge, die aus der Acefahne und Arofahne zusammengesetzt ist, lieber mag. Abgesehen davon, dass ich die Sunsetfahne ästhetisch sehr schön finde, stelle ich fest, dass ich, wenn ich versuche, meine Asexualität und Aromantik zu trennen, vor einem Haufen Fragezeichen stehe. Sie beeinflussen sich gegenseitig; meine Aromantik ist meine Asexualität.

Ich komme aus einem christlichen Elternhaus und der Glaube hat in meinem Leben immer eine große Rolle gespielt. So bin ich auch mit der christlichen Sexuallehre in Berührung gekommen, die häufig besagt, dass mensch erst Sex haben sollte, wenn mensch verheiratet ist.

Ich habe noch nie das Bedürfnis gehabt, mit einer Person zu schlafen, aber ich habe mir das immer so erklärt, dass mensch das erst möchte, wenn mensch in einer Beziehung und verliebt ist. Sex und Liebe gingen so immer Hand in Hand für mich. Und so war es auch immer in den Büchern, die ich gelesen habe. Auch in meinem christlichen Freundeskreis hat Sex keine große Rolle gespielt, also haben wir nie darüber geredet, was dazu führte, dass ich dieses Denken nie hinterfragen musste. Dass es ein Bedürfnis sein könnte, welches über das bloße „das macht man halt, wenn mensch in einer Beziehung ist“ hinausgehen könnte, war mir nicht bewusst.

Und so gingen die Jahre ins Land, ich war ein Teenager, es gab Menschen, die an mir interessiert waren, aber ich habe mich nie in sie verliebt. Ich dachte immer, dass das daran liegt, dass ich die Personen einfach nicht gut genug kenne. Denn warum sollte ich mit einer Person eine Beziehung eingehen wollen, wenn ich sie nicht gut kenne? Deswegen hatte ich immer vor, erst mit einer Person zusammenzukommen, wenn wir uns schon mindestens ein Jahr kannten. Jedoch hatte ich fast keine männlichen Freunde und weil ich mich damals für heterosexuell und -romantisch gehalten haben, hat es mich auch nicht gewundert, dass ich mich nicht verliebt habe.

Nach meinem Abitur habe zwei Jahre gearbeitet und nach 1,5 Jahren sollte es endlich passieren, ich fand einen Mann toll. Ich wollte Zeit mit ihm verbringen und eine wichtige Rolle in seinem Leben spielen. Für mich war ganz klar, ich bin verliebt. Als die Gefühle nach einiger Zeit verschwanden, war ich heil froh. Ich konnte wieder zu meinem normalen Leben zurückkehren, ohne die ganze Zeit an ihn denken zu müssen.

Kurz bevor ich dann zum Studium weggezogen bin, hat er mir gestanden, dass er in mich verliebt ist, worauf sich für mich die Frage gestellt hat, ob ich mit ihm in einer Beziehung sein will. Ich dachte mir, wenn ich schon einmal diese besonderen Gefühle, die ich noch nie für jemensch hatte, hatte, kommen sie bestimmt wieder, wenn ich es ihnen erlaube. Und so haben wir dann eine Beziehung angefangen. Die Gefühle sind nicht zurückgekehrt, aber ich mochte ihn sehr, das muss doch reichen, oder? Irgendwann in dieser Beziehung stellte ich fest, dass ich ihn nicht sexuell begehre, was bei mir ein paar Fragen aufgeworfen hat. Ist das nicht etwas, das ich eigentlich fühlen sollte? Ich wusste von Freundinnen, die ich im Studium gewonnen hatte, dass sie sich wünschen, mit ihren Freunden Sex zu haben und sich das auch vorstellen. Also wollte ich das auch ausprobieren. Gedacht, getan, bereut. Schon allein beim ersten Gedanken daran, mit ihm Sex zu haben, habe ich mich extremst abgestoßen gefühlt und es sich falsch angefühlt. Ich war tatsächlich angewidert. Das hat mich zwar gewundert, aber ich konnte es auf meinen christlichen Glauben schieben. Wir sind nicht verheiratet, also sollten wir auch keinen Sex haben. Kein Wunder, dass ich mich bei dem Gedanken daran nicht wohl fühle.

Nach unserer Trennung ging es weiter wie zuvor, Männer waren an mir interessiert, aber ich nicht an ihnen.

Und eines Tages war ich auf Tumblr und erinnerte mich daran, dass ich einem Blog folge und die Bloggerin eine Fahne in ihrem Profilbild hat, die ich noch nie gesehen hatte und schon seit einiger Zeit recherchieren wollte. Da ich sowieso am Prokrastinieren war, war der perfekte Zeitpunkt dafür gekommen. Der perfekte Zeitpunkt für eine Identitätskrise, wie sich dabei herausstellte. Bin ich demisexuell? Je länger ich darüber nachgedachte, desto verwirrter wurde ich. Ich war schließlich erst einmal verliebt gewesen und mit ihm wollte ich definitiv keinen Sex haben. War ich also nicht wirklich verliebt gewesen? Meine außergewöhnlichen Gefühle für ihn waren schließlich nie zurückgekehrt, wollte ich deswegen keinen Sex mit ihm haben? War ich in ihn verliebt gewesen und bin damit asexuell?

Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich wahrscheinlich während unserer Beziehung nicht in ihn verliebt war und auch nicht sexuell zu ihm hingezogen war. Je länger ich mich mit dem Thema beschäftigte, desto mehr stellte ich fest, dass ich eher asexuell als demisexuell bin und ich fragte mich, zu wem ich mich romantisch hingezogen fühle. Bin ich vielleicht doch nicht heteroromantisch?

Zuerst kam ich zu dem Schluss, dass ich grauromantisch und nicht aromantisch bin, ich war schließlich schonmal für kurze Zeit verliebt. Aber irgendwie passte es nicht so richtig, ich habe ständig darüber nachgedacht, wie sich meine besonderen Gefühle für meinen Exfreund geäußert haben, über was genau ich nachgedacht hatte, wenn ich über ihn gedacht habe.

Nach einiger Zeit stieß ich auf den Begriff „Squish“, also platonische Verliebtheit/Crush und mir wurde klar, ich hatte einen Squish, ich war nie verliebt.

Wenn ich jetzt darüber nachdenke, was meine Einstellung zu Sex ist und unter welchen Umständen ich Sex haben würde, komme ich immer wieder zu dem Schluss, dass ich nur Sex haben wollte, wenn ich in die andere Person verliebt bin. Anders kann ich es mir einfach nicht vorstellen. Dabei gibt es nur ein Problem. Ich war noch nie verliebt und ich kann mir auch momentan nicht vorstellen, dass das eines Tages passieren wird. Bin ich also eigentlich demisexuell und nicht asexuell? Wer weiß das schon? Ich jedenfalls nicht, denn meine Aromantik beeinflusst meine Asexualität.

~ Joe