Mein herzlichstes Danke

„Ich liebe dich.“

Es gibt keinen Satz, den ich zugleich so sehr respektiere und so sehr fürchte. Keine drei Worte von denen ich weiß, dass sie alles zu bedeuten scheinen, die es mich aber zugleich nicht stören würde, sie nie wieder von einem anderen Menschen zu hören. Und keine Wortkombination bei dem ich mir der Distanz zwischen mir und meinem Gegenüber stärker bewusst bin.
Und das obwohl er gesagt wird, um Nähe Ausdruck zu verleihen.

„Ich liebe dich.“
„Danke.“

Ich wende mich ab. Will gar nicht erst wissen, ob du zu den Menschen gehörst, die jetzt enttäuscht sind. Denn kein Satz ist voller mit Erwartungen, übersättigter mit Wünschen, bis zum Rand gefüllt mit deinen Hoffnungen und Vorstellungen. Und keine Aussage mehr dazu geschaffen, klarer zu zeigen wer ich bin, mehr davon zu offenbaren wie ich denke, fühle, die Welt um mich herum erlebe. Für einen Moment sitzen wir schweigend und ich erinnere mich an all die Situationen davor.

„Ich liebe dich.“
„Danke“
*Enttäuschung*

„Ich liebe dich.“
„Hey, ich weiß nicht, ob das  eine gute Idee ist …“
*Verwirrung und Enttäuschung*

„Ich liebe dich“
„Danke“
….

Ich weiß nie, ob das Schweigen Sekunden oder Minuten anhält, aber danach bin ich mir jeden Blickes und jeder Nuance im Tonfall bewusst. Und trotzdem  gibt es in keiner Sprache, die ich beherrsche etwas großartig anderes, das ich darauf antworten kann.  Ich spüre die Distanz zwischen uns und bin mir der Tatsache bewusst, dass ich sie klarer gemacht habe als ich sie durch irgendein anders Wort hätte unterstreichen können. Ich weiß, dass ich auf diese Weise geliebt werden kann und doch offenbart kein Satz mehr über meine eigenen Gefühle als dieser eine und seine Antwort.
Egal, was ich antworte, es sagt so viel.
Ob Erwartungen erfüllt wurden oder nicht.
Wie andere damit umgehen.
Was ich nicht fühle und wie ich sonst fühle.
In einem Wort enttäusche ich alles.
Teile ich alles.
Und doch wird es meist übersehen.

Kaum einen interessiert, wie viel ‚Danke‘ mitteilt.
Kaum jemand kann sehen, wenn ich seine Liebe annehme, oder ob ich vielleicht in dem Moment doch ein wenig besorgt darüber bin, was in diesem Fall damit verbunden sein könnte. Kaum jemand hat Interesse daran, dass ich mich freue, dass wir uns nahe sind – oder es zumindest waren, bis du den Moment gefunden hast, diese Worte zu sagen. Naja, vielleicht auf einer anderen Ebene immer noch sind, weil du etwas für dich Wichtiges damit geteilt hast und ich eben mit meiner Antwort oder dem Ausbleiben der erwarteten oder erhofften Antwort, diesen wichtigen Teil von mir offen gelegt habe. Wenn Menschen nur hinschauen könnten, anstatt enttäuscht zu sein. Wenn sie auf die Person schauen könnten, die vor ihnen steht, anstelle der Person, die ihre Gefühle nicht teilt, während ich gleichzeitig in Wahrheit mich selbst teile in einem Wort – Mehr als eine andere Antwort es könnte. Wirst du nur die Person sehen, die die Worte nicht gesagt hat, die du hören wolltest? Und ich verstehe immer noch nicht … Ist es nicht viel mehr wert, dass ich dich meine Wahrheit sehen lasse?
Wende ich mich ab, weil ich „Danke“ sage?
Oder wendet mein Gegenüber sich ab, weil es nicht sieht, was dahinter liegt?
Wenden wir uns beide voneinander ab in dem Moment, obwohl wir unsere tieferen  Gefühle zu teilen versuchen?
In einem Moment wie diesem spüre ich Nähe und Ferne zugleich.

Aber ich werde auch mir selbst bewusst.
Ich kann nicht anders antworten. Es gibt kein anderes Wort, das ehrlicher oder klarer sagt, was ich empfinde, oder mit dem ich mich weiter öffnen könnte. Kein Wort mit dem ich sowohl deine Gefühle anerkennen, als auch bei mir selbst bleiben kann. Es gibt keinen Moment, in dem ich uns aber auch mich selbst klarer sehe, als wenn du „Ich liebe dich“ sagst. Keiner in dem ich mir der Person, die ich bin, bewusster bin, auf mich selbst zurückgeworfen in Distanz und Nähe zu dir. Und auch keinen Augenblick in dem ich mich ehrlich öffne und wo es jeder sehen kann, der einen Blick an den eigenen enttäuschten Erwartungen vorbeimacht, so wie ich mich bemühe, deine Worte und Gefühle anzuerkennen und deiner Ehrlichkeit mit derselben Ehrlichkeit zu begegnen. Mich dir zu öffnen, wie du dich geöffnet hast, wohl wissend, dass ich darin zugleich Distanz erfahren werde.

Näher und ferner kann ich einem Mitmenschen in keinem Augenblick sein.
Auch nicht näher bei mir selbst.
In diesem Moment stehe ich vor meiner Wahrheit, kann sie nicht verbergen, weder vor mir selbst noch vor anderen. Es gibt Tage, da erscheint es mir gut machbar und dann wieder Tage, da ist die Situation für mich schwerer. Aber ich werde so antworten und wenn mein Gegenüber – wenn du – diesmal wieder wegschaut, schaue ich zumindest selbst nicht weg. Ich schließe die Augen, weil ich einen kurzen Augenblick mit mir selbst verbringen möchte, erlebe meinen persönlichen Aro-Moment, bevor ich sie wieder öffne, um zu sehen, ob du enttäuscht bist.
Ob du vielleicht einen kleinen Splitter von dem zu sehen vermagst,  was ich geteilt habe.
Oder weil das oft gar nicht so einfach ist mit den gemischten Gefühlen, Nähe und Ferne, Enttäuschung und Anerkennung vielleicht auch beides.

Was auch immer es ist.
Ich werde es anerkennen.
Schon allein weil du mir irgendwie wichtig bist.

Darum sag ich dir aus tiefster Seele „Danke“ auf dein „Ich liebe dich“.

~ Finn