In einem Bett

„Finn, ich möchte mit dir schlafen.“
Mein Gehirn braucht einen Moment, um da mitzukommen. Der Satz ist hier wortwörtlicher zu verstehen als sonst. Und doch brauche ich einen Augenblick, um über die gewohnte Interpretation der Aussage hinwegzukommen und bei einer zu landen, die wohl treffender ist und dem was gemeint ist, eher entspricht. So wie ich dich inzwischen kenne, heißt das hier wohl eher so etwas wie: „Ich möchte neben dir schlafen.“ Oder auch: „Ich möchte mit dir einschlafen.“

Damit sollte alles gut sein.
Das sage ich zumindest meinem Gehirn. Aber wirklich entspannen will es sich trotzdem nicht. Vielleicht wäre die erste Bedeutung von „Ich will mit dir schlafen“ fast besser. Darauf weiß ich zumindest, wie ich in der aktuellen Situation reagieren kann. Und ich müsste nicht so viel erklären. Mit dieser Interpretation sieht das schon anders aus. Ich muss viel mehr sagen, um verstanden zu werden. Und vielleicht ist es besser, zu schreiben.
Ich erinnere mich an die Nächte, in denen ich mit anderen Menschen ein Bett geteilt habe. An gute und schlechte Erfahrungen, Unruhe bis hin zu schlaflosen Nächten. Neben einer anderen Person einzuschlafen, ist gar nicht so einfach. Vielleicht sogar schwerer als einem Menschen körperlich nahe zu sein, während ich mich im wachen Zustand befinde und bei vollem Bewusstsein befinde. Nachts ziehe ich mich in meine kleine Höhle zurück, verbarrikadiere den Eingang mit einer Tür. Zum Schlafen muss ich mich sicher fühlen und mich wirklich entspannen. Vielleicht ist es eine Art Schutzmechanismus, dass das viel schwieriger ist, wenn ich eine andere Person in meiner Nähe habe. Wenn ein anderer Körper meinen berührt. Manchmal habe ich das Gefühl, mein Gehirn nimmt das als Bedrohung wahr.
Und die Anspannung lässt mich nicht einschlafen.

Dabei habe ich früher häufig auf engem Raum mit anderen Menschen geschlafen. Mit Schlafsack und Matte, in einem Saal oder Raum immer mehr als zwei Personen. Wenn ich genauer darüber nachdenke, merke ich aber auch hier, welchen Abstand ich zu Menschen gehalten habe. Zwischen zwei Matten ein Rucksack, der für einen leeren Streifen zwischen meinem Platz und dem nächsten sorgt. Je nachdem wie viel Platz ist vielleicht auch der Koffer. Auf der anderen Seite die Wand, ein anderes Mal eine größere Lücke. Außerdem sind Schlafsäcke ganz gut, um einen zu schützen. Es ist schwer, sich darin zu bewegen oder jemanden festzuhalten.
Niemand kommt mir zu nahe.

Die Zeit vergeht und die Umstände verändern sich. Ich schlafe nicht mehr so oft mit Schlafsack und Matte am Boden. Manchmal noch und die Leute um mich herum verändern sich auch. Ich lerne, dass man Schlafsäcke theoretisch auch zusammen zippen kann.
Ich versuche es nie.
Schon allein der Gedanke an so viel körperliche Nähe klingt hinderlich beim Schlafen. Die Frage meines Platznachbarn am Lager, ob ich abends zum Einschlafen kuscheln möchte, lehne ich dezidiert ab. Aber ich kenne die Person auch nicht so gut. Naja, schon ein bisschen, aber zwischen uns besteht kein Vertrauensverhältnis und ich verspüre auch keinerlei sensuelle oder sonstige Anziehung gegenüber der Person.

Auslandssemster.
Eine Freundin kommt mich übers Wochenende besuchen. Mein Bett ist breit genug, dass wir beide darin schlafen können, ohne uns zu nahe zu kommen. Nicht so breit, wie das Doppelbett meiner Eltern, das ich schon einmal mit einer Freundin geteilt habe, aber dennoch gibt es keine Berührungen. Trotzdem spüre ich ihre Anwesenheit. Wir haben schon früher in einem Zimmer geschlafen. In ihrer alten Wohnung, aber da lag sie in ihrem Bett und ich unten am Boden daneben. Diese räumliche Trennung ist diesmal nicht gegeben. Ich drehe mich bewusst von ihr weg und liege mit dem Rücken zu ihr, um mich abzuschirmen. Obwohl ich ihr vertraue und ich mich sensuell von ihr angezogen fühle, brauche ich länger, um einzuschlafen. Ich teile meinen sicheren Bau mit einer anderen Person und mein Gehirn sieht das als Risiko.
Die erste Nacht ist die Schwierigste. Am nächsten Tag siegen dann Erschöpfung vom quer durch die Stadt laufen und ungeplanten Tränen über Anspannung und Alarmmodus. Ihr im Grunde zu vertrauen und die sensuelle Anziehung, die ich zu ihr empfinde, helfen sicher auch. Bei den Freund*innen, die später kommen, um mich zu besuchen, geht es schon besser. Ich schaffe es, einigermaßen schnell einzuschlafen.

Ich bin wieder in einer Beziehung.
Mein Partnermensch wohnt keine halbe Stunde von mir entfernt und wir sehen uns häufig. Im Nachhinein stelle ich fest, dass ich keine sensuelle Anziehung empfunden habe, aber die Person sucht körperliche Nähe und ich versuche immer wieder diesen Wunsch zu erfüllen. Irgendwann fange ich an, drüben zu übernachten. Das war nicht meine Idee, aber ich sage nicht ‚Nein‘. Eigentlich würde ich lieber auf der Couch schlafen und versuche zu erklären, dass ich schlecht schlafe, wenn ich mit anderen Menschen in einem Bett liege. Ich versuche zu erklären, dass ich mir schwer tue einzuschlafen, wenn ich eine andere Person neben mir habe und stelle klar, dass ich nachts keine Berührungen möchte. Mein Partnermensch würde am liebsten knuddelnd einschlafen, respektiert aber meinen Wunsch und ich lasse mich im Gegenzug überreden, in einem Bett zu liegen.
Trotzdem ist das Bett irgendwie zu eng. In der ersten Nacht von Freitag auf Samstag schlafe ich kaum. Ich kann mich nicht entspannen und mein Gehirn ist ständig im Alarmmodus. Ich fühle mich wie ein Fluchttier nachts in der Wildnis. Als müsste ich bis zum nächsten Morgen überleben. Ich versuche mir einzureden, dass es okay wäre, aber ich werde nicht ruhiger. Irgendwann morgens siegen Erschöpfung und Müdigkeit über meine Unruhe. Nach ein paar Stunden bin ich wieder wach und schlafe nicht mehr ein.
Ich übernachte öfters. Wirklich gut schlafe ich nie, aber wir schlafen weiterhin in einem Bett. Ich rede mir ein, ich würde mich früher oder später daran gewöhnen und langsam wird es ja ein bisschen besser. Jetzt schlafe ich zumindest ein paar Stunden, wenn auch unruhig und mit vielen Unterbrechungen. Wenn ich müder bin ein wenig mehr. Nicht wirklich gut, aber wäre es nicht irgendwie verletzend zu sagen, dass ich nicht einmal in einem Bett schlafen möchte?
In einer Nacht wache ich auf und spüre die Hand meines Partnermenschen auf meinem Körper. Für einen Moment liege ich bewegungslos da, bevor ich mich wegdrehe, die Hand abstreife und versuche, eine andere Schlafposition zu finden.
Aber Schlaf bekomme ich in dieser Nacht keinen mehr.
Und am nächsten Tag beende ich unsere Beziehung.

Ich übernachte wieder häufiger bei einer Freundin. Zu diesem Zeitpunkt ist eine sensuelle Ebene längst Teil unserer Beziehung und wir haben schon häufiger gemeinsam in einem Zimmer geschlafen. Mal im Doppelbett meiner Eltern – mit genügend Abstand – mal bei ihr mit räumlicher Trennung. Jetzt übernachtet sie nach längerer Zeit in meiner neuen Wohnung. Ich biete ihr an, in meinem Bett zu schlafen. Ich kann stattdessen auf der Ausziehcouch schlafen. Sie möchte das nicht und besteht darauf, dass wir gemeinsam auf der Couch schlafen. Ich werde unsicher. Die Couch ist enger als das Doppelbett meiner Eltern und anders als bei ihrem Ausziehbett, besteht keine räumliche Abgrenzung zwischen uns. Es wird schwer, darauf zu liegen, ohne sie zu berühren. Sie besteht darauf mit dem Argument, dass sie bald heiraten wird und dann möchte sie nur noch mit ihrem Ehemann in einem Bett schlafen.
Obwohl ich in dieser Nacht eigentlich nicht mit ihr in einem Bett schlafen möchte, tut diese Aussage weh und ich lenke ein. Trotzdem brauche ich auch diesmal eine Weile, um einzuschlafen. Die körperliche Nähe und fehlende Erschöpfung halten mich wach.
Wenige Monate später – kurz vor ihrer Hochzeit – begreife ich, dass ich mich sensuell von ihr angezogen gefühlt habe. Ich weine mehr als ich müsste, bin mir nicht sicher, ob es ist, weil ich weiß, dass ich als befreundete Person nie die Wichtigkeit für sie haben werde, die ich mir von ihr wünsche, besonders jetzt wo sie heiraten wird, oder ob ich auch darum trauere, dass sie die sensuelle Nähe nur noch mit ihrem Ehemann nicht aber mit mir teilen wird.
Sie hält es so und ich akzeptiere es.
Ich distanziere mich aus einem anderen Grund und ich stelle fest, dass unsere Freund*innenschaft, so wie sie war, mit unseren jeweiligen Veränderungen ohnehin nicht zu halten ist.
Aber weh tut es trotzdem.

Seither habe ich nicht mehr mit einer anderen Person in einem Bett geschlafen und eigentlich hatte ich das auch nicht vor. In manchen Nächten ist mir mein eigener Herzschlag laut genug und ich weiß nicht, wie ich mit der Nähe einer anderen Person umgehen können soll. Wenn es bisher passiert ist, hat es sich einfach so ergeben und entwickelt und trotzdem war es nie von Beginn an einfach. Manchmal war das okay. Und manchmal habe ich mich selbst dazu überredet oder gezwungen. Und jetzt stehe ich wieder vor der Frage:
Nein sagen? Oder ausprobieren? Wovor habe ich mehr Angst? Dass ich einschlafen kann, oder dass ich die ganze Nacht wachliege? Wie oft muss ich es probieren, wenn es nicht klappt? Und wenn ich mich genug entspannen kann oder erschöpft genug bin, um einzuschlafen … Dabei wird es nicht bleiben.
Berührung steht immer im Hintergrund.
Das Wissen, dass es mitunter nicht beim mit Abstand nebeneinander einschlafen bleibt. Das Bewusstsein, dass körperliche Nähe eine Rolle spielen kann und vielleicht das nächste Problem wird.  In einer Welt, in der viel der Verbindung zwischen Menschen über unterschiedliche Arten von Berührungen passiert und ich mich mit einer geringeren Berührungstoleranz erlebe als die Menschen in meinem Umfeld, ist es schon im wachen Zustand schwer, meine Grenzen auszuloten und auf sie zu achten. Wenn ich schlafe, kann ich nichts sagen, nichts tun, bin schutzlos. Da reicht es mir nicht, nur ein Stück weit zu vertrauen, dass eine Person das Beste für mich möchte. Es gut gemeint zu haben, ändert noch nichts am Ergebnis. Vertrauen ist dabei nicht alles. Und sensuelle Anziehung auch nicht.
Ich muss die Kontrolle abgeben, mich verwundbar machen.
Und das ist schwer.

Die Erkenntnis, dass im selben Bett mit einer anderen Person zu schlafen, für mich intimer ist, als die meisten sonst so vorgestellten Handlungen, trifft mich unerwartet. So genau habe ich davor nicht darüber nachgedacht, aber ich kann mir wenig anderes vorstellen, das mir so viel Vertrauen und Kontrollabgabe abverlangen könnte.
Menschlicher Fehlbarkeit zum Trotz.
Ich sage mir, dass ich immer ‚Nein‘ sagen kann, wenn etwas nicht passt. Dass ich mir meiner eigenen Bedürfnisse und Grenzen bewusster bin und mich immer auf die Couch legen kann. Oder dass ich versuchen kann, mich einigermaßen auszupowern, sodass die Erschöpfung mir hilft, einzuschlafen. Aber Sicherheit habe ich da keine.
Kann ich vermutlich auch nicht haben.
Ansonsten wäre Vertrauen nicht notwendig.
Nicht in mich und nicht in andere Menschen.

Also bleiben die Fragen:
Was wenn das schief geht?
Und
Was wenn das klappt?

~ Finn