Inhaltshinweise: Amatonormativität, Amatonormative Zuschreibungen aufgrund von (falsch) wahrgenommenem Gender, binäres Geschlechtermodell, Allonormativität, Absprechen von keinen Kinderwunsch haben
Ich brauche Romantik.
Ich brauche einen Partner und Kinder.
Zumindest wenn man den Worten mancher Menschen Glauben schenkt. Und wenn ich jetzt etwas Anderes sage, dann werde ich meine Meinung noch ändern. Das habe ich nicht nur einmal gehört. Erst durch Romantik und gemeinsame Familienplanung würde mein Leben erfüllt werden und der Moment, in dem ich „den Richtigen“ finde, wird alles verändern. Irgendetwas in mir – ein Teil den ich wohl nicht kenne und bislang auch nach längerer Suche nicht gefunden habe – sehnt sich nach romantischer Liebe.
Dabei spielt es keine Rolle, dass ich mich als aromantisch verstehe. Übrigens genauso wenig, wie der Fakt, dass mein Gender mehr nicht-binär ist als irgendetwas anderes. Aber Letzteres hat die Menschen, die mir solche Dinge erzählen, noch nie wirklich gekümmert und weil sie mich konsequent als weiblich einsortieren, wird scheinbar auch meine Aromantik unglaubwürdig. Ich bin mir gar nicht sicher, was mich in diesen Fällen mehr stört. Es ist schon frustrierend genug, dass ich fälschlicherweise in ein binäres Gender einsortiert werde, dem ich mich nicht zugehörig fühle. Aber gleichzeitig wird dann noch Frauen, die Möglichkeit abgesprochen, aromantisch oder auf dem Spektrum zu sein und ich weiß gar nicht, was ich zuerst sagen soll:
„Ich bin keine Frau.“ Oder „Nicht alle weiblichen oder weiblich gelesenen Personen, haben ein Bedürfnis nach romantischer Liebe und Partner*innenschaften oder Kindern. Frauen können auf dem aromantischen Spektrum oder aromantisch sein.“
Aber eines habe inzwischen gelernt:
Ob es nun die glücklich verheirateten Frauen sind, die mir erklären, dass ich meine Meinung ändern werde, weil es zu meinem Glück doch einen romantischen Partner und Kinder braucht, oder der ungläubige Blick, wenn ich sage, dass ich mich nicht sonderlich für Küssen oder Romantik interessiere, auf irgendeine Art und Weise scheint das mir attestierte Bedürfnis nach Romantik mit meinem wahrgenommenen Gender verknüpft zu sein. Und zwar auf eine so enge Art und Weise, dass ich immer wieder darauf gestoßen werde. Ein weiteres Beispiel dafür ist auch der Tag, an dem ich den jetzigen Ehemann einer damals recht guten Freundin von mir kennengelernt habe. In der kurzen Unterhaltung wurde ich nach meinen Zukunftsplänen gefragt. Das für sich war ja noch kein Problem. Ich habe ein paar Dinge erzählt und er ein paar Mal nachgefragt. Dass ich nicht gleich verstanden habe, worauf er hinaus wollte, war wohl auch ein Stück weit meiner Aromantik verschuldet, aber irgendwann hat er nur noch eine Frage gestellt: „Alleine?“
Und ich muss damit leben, dass meine Aromantik so unglaubwürdig ist, dass selbst wenn ich keinerlei Anzeichen von Romantik oder romantischer Liebe in meinen Lebensplänen erwähne, trotzdem nachgefragt werden muss, um sicherzugehen, dass ich es nicht bloß vergessen habe. Gibt es irgendetwas was mehr davon spricht, dass Romantik in meinem Leben einfach keinen sonderlich hohen Stellenwert einnimmt, als der Fakt, dass sie in meiner Lebensplanung keinerlei Erwähnung findet? Und gibt es irgendetwas, das ich sagen kann, um Menschen zu verklickern, dass ich nicht bloß auf etwas Wichtiges vergesse oder meine Meinung ändern werde?
Manchmal frage ich mich, wie Menschen überhaupt auf die Idee gekommen sind, dass weiblich gelesenen Personen ein inhärentes Bedürfnis nach romantischer Liebe haben, aber woher auch immer der Gedanke ursprünglich kam, bewusst ist er mir seit meiner Teenagerzeit. Damals kam das in einer anderen Form daher, oft verknüpft mit Sexualität. Da hieß es dann, dass Jungs vorsichtig sein sollten, wenn sie mit Mädels Zärtlichkeiten austauschten, weil Jungs zwar Sexualität und Romantik angeblich besser trennen konnten, aber Zärtlichkeiten in Mädels wirklich etwas auslösten und veränderten. Was da genau getriggert werden sollte, habe ich nie so richtig verstanden. Aber der tiefe Wunsch nach romantischer Liebe schien wohl etwas damit zu tun zu haben.
Heute verstehe ich besser, dass das auf mich nicht zutrifft. Und auch dass es nicht zwangsläufig auf weibliche oder weiblich gelesene Personen zutrifft. Ich weiß, was Aromantik ist und das Sex nicht zwangsläufig romantisiert werden oder mit Romantik verbunden sein muss. Ich weiß auch, dass ich diese beiden Dinge trennen kann. Mit dem Gedanken an romantische Liebe kann ich nicht viel anfangen, egal was andere Menschen mir für Bedürfnisse attestieren. Ich verstehe nicht ganz, was Romantik ist, wie viele Menschen auf dem aromantischen Spektrum und ich gehe davon aus, dass ich keine romantische Anziehung empfinde. Oder zumindest habe ich bislang noch Nichts erlebt, das ich zum jetzigen Zeitpunkt so einordnen würde. Sexuelle Anziehung erlebe ich dagegen schon immer wieder einmal und als aromantische Grayace-Person sind die beiden bei mir auch nicht untrennbar verwoben, wie manche Menschen es annehmen.
Ich brauche keine Romantik, damit mein Leben lebenswert wird. Keinen Partner, wie mir immer wieder suggeriert wird, und auch keine Kinder. Ich muss nicht daten, um eine allo-, amato- und heteronormative Partner*innenschaft zu finden und in mir schlummert kein verstecktes Bedürfnis nach romantischer Liebe, das sprießt, sobald die richtige Person, um die Ecke gekommen ist. Ob ich mich vielleicht doch noch irgendwann einmal verliebe, kann ich nicht ausschließen. Aber genauso gut könnte das auch niemals passieren. Immerhin ist es bisher nicht passiert, unabhängig davon, dass ständig etwas anderes von mir erwartet wurde.
Und egal, was mein wahrgenommenes Gender ist:
Ich brauche keine romantische Beziehung so sicher, wie ich mein Gender als nicht-binär beschreiben kann. Egal, wie ich von manchen Menschen gelesen und einsortiert werde. Aber am Ende macht das eigentlich keinen Unterschied.
Ich bin aromantisch.
Unabhängig vom Gender.
~ Finn