Geschichten aus der grünen WG

Warnhinweis: Dieser Beitrag dient in erster Linie der Belustigung von Leser*innen und Authorperson. Er ist bis zu einem gewissen Maß ernst zu nehmen aber nicht darüber hinaus. Die unten stehenden Aussagen über meine Pflanzen und Erlebnisse mit ihnen sind direkt aus dem Leben gegriffen und ein Text dieser Art entsteht, wenn ich bei einem Schreibtreffen gefragt werde „ob ich denn auch mit meinen Pflanzen flirte“. 😉
Viel Spaß beim Lesen!



Pflanzen.
Gibt es eine aromantischere Freizeitaktivität?
Vermutlich, schließlich ist keine Aktivität grundsätzlich romantisch oder aromantisch. Am Ende ist es doch immer eine Sache der Bewertung. Wenn ich Blumen für meinen Partnermenschen extra im eigenen Garten anbaue, ist das vermutlich eine Aktivität, die als romantisch bewertet werden kann.
Aber wie ist das bei mir?

Meine Wohnung teile ich dauerhaft mit Palmen, Kakteen und einer Orchidee, die dauerhaft eine Art Sorgenkind ist. Sie leben bei mir und ich lebe in symbiotischer Beziehung zu ihnen. Welchen Vorteil habe ich davon? Ich genieße ihre Anwesenheit und sie tupfen mein Wohnzimmer in die Grüntöne der aromantischen Flagge. Außerdem mag ich es gerne, ein paar Pflanzen um mich herumzuhaben. Es hat etwas Erfrischendes, Angenehmes und ich fühle mich willkommener – vielleicht sogar willkommener als in so mancher Umarmung, besonders wenn sie ungefragt kommt und ich der Person, die mich umarmt nicht hinreichend nahe bin und vertraue. Wenn ich also heimkomme, werde ich sogleich von meinen grünen Mitbewohner*innen begrüßt. Die Begrüßung geht schweigend von Statten, aber ich nehme sie trotzdem wahr, betrete das Zimmer und vielleicht begrüße ich auch einmal die eine oder andere Pflanze mit ihrem Namen. Der steht unten am Topf, für den Fall, dass ich einmal weg bin – sie nicht mitnehmen kann – und sich jemand anderer um sie kümmern muss. Es will doch jede*r mit dem eigenen Namen angesprochen werden.
Das gilt für mich.
Das gilt für meine Pflanzen.
Und solange sie sich den Raum mit mir teilen, hat das auch jeder zu respektieren, der die Wohnung betritt. Bislang hat sich auch noch keine der Pflanzen bei mir beschwert. Es sind auch keine Blumen, die ich einem romantischen Partnermenschen schenken könnte, es sei denn die Person ist ein großer Fan von Kakteen. Aber echt … Wer würde denn seine Mitbewohner verschenken? Wenn ein Mensch meine Palmen und Kakteen mit mir teilen möchte – oder auch Orianne die Orchidee – müssten wir schon zusammenziehen und das käme mit einem ganz anderen Set von Herausforderungen. Könnte überhaupt irgendein Partnermensch denselben beruhigenden Effekt auf mich haben, wie meine pflanzlichen Mitbewohner*innen?
Okay, ich sollte vielleicht nicht Menschen mit Pflanzen vergleichen, ansonsten wird dieser Beitrag hier noch absurder als ohnehin schon, aber mal ehrlich … Meine Pflanzen würde ich nicht missen wollen, auch wenn es manchmal ganz schön Arbeit ist, mich um sie zu kümmern. Gießen, umtopfen, bei ihnen Sitzen … Und manchmal verbringe ich auch etwas Zeit bei ihnen, wenn ich im Wohnzimmer sitze, zeichne und lese. Und weil Pflanzen mich weniger in meinem kreativen Prozess irritieren als andere Menschen, dürfen sie mir auch mal beim Zeichnen oder Schreiben über die Schulter schauen. Manch eine Person würde auch behaupten, sich eine Pflanze zuzulegen käme billiger und wäre auf Dauer weniger anstrengend, als sich einen Partnermenschen zuzulegen. Dem muss ich widersprechen. Je, nachdem welche  Sorte von Pflanze eine Person zu sich in die Wohnung holen möchte, sind grüne Mitbewohner*innen mehr oder weniger anspruchsvoll. Während meine genügsamen Kakteen nur hin und wieder meine Aufmerksamkeit bedürfen und auch gerne mal Zeit alleine oder unter sich verbringen – Sie werden auch nicht so gerne angefasst, haben sie mir mit einigen Stichen mitgeteilt – ist Orianne anspruchsvoller, zeigt schon einmal durch gelbe Blätter an, wenn es ihr nicht gut geht und sie mehr Zuneigung nötig hat. Egal welche Pflanze hin und wieder muss sie gegossen werden. Zu wenig Wasser ist schlecht, zu viel ebenfalls und wie viel genau kommt auf die Pflanzenart an. Dasselbe gilt dafür wie viel Licht und Schatten der/die/x jeweilige pflanzliche Mitbewohner*in braucht und wie starke Temperaturschwankungen er/sie/x erträgt.  Zugluft bei offenem Fenster kann auch zum Problem werden und dann muss schnell gehandelt werden. Und immer wieder steht auch intimerer Kontakt an, wann immer eine Pflanze für den alten Topf zu groß geworden ist. Dann heißt es, shoppen gehen, je nachdem wie sicher eins mit der benötigten Topfgröße ist, eventuell auch mit Pflanze, um die Größe direkt im Laden zu überprüfen. Das ist fast so wie Klamotten anprobieren. Nur etwas angenehmer, weil ich nur Fragen nach der passenden Größe beantworten muss und selten nach meinem ästhetischen Geschmack urteilen muss. Naja, okay, ganz so einfach ist es auch nicht, schließlich kommen Übertöpfe dann auch in allen möglichen Designs und Farben. Vielleicht steht auch nicht jeder Pflanze jede Farbe, aber die meiste Zeit  geht es um Praktikabilität und darum, wie gut ein Topf zur übrigen Gestaltung meines Wohnzimmers passt. Das heißt, eher kühle Farben, wie ich sie gerne mag, weil ich sie als ruhiger empfinde. Pflanzen fragen mich zumindest nicht, ob ich denke, dass der Übertopf „ihnen steht“ oder ob ich „ihn schön finde“. Oder vielleicht haben wir auch nur einen ähnlichen Geschmack.
Und wenn Topf und Erde dann mal besorgt sind (je nachdem kostet das dann auch ein bisschen was), kommt es dann zur größten Nähe mit der eigenen Pflanze, wenn sie aus ihrem alten Zuhause befreit und in neue Erde umgesetzt wird. Ich denke, näher kommt man einer Pflanze kaum, als sie einzusetzen und die Erde rundherum anzufeuchten, sanft festzudrücken. Dann heißt es, hoffen, dass alles gut passt, am Ende alle zufrieden sind und keiner aufgrund der neuen Begebenheiten eingeht.
Niemand will schließlich eine*n pflanzliche*n Freund*in verlieren.
Wirklich nicht.
Ich weiß noch genau, wie ich im Spätherbst 2019 einen Kaktus verloren habe. Spikey war der erste Kaktus den ich je hatte. Ich hatte ihn in der Schulzeit von meinem einwöchigen Aufenthalt in Modena mitgebracht und seither hatte er auch einen Platz bei mir. Mehrfach ist er mit mir umgezogen.  Aber als ich gerade einmal ein paar Monate in meiner aktuellen Wohnung gewohnt hatte, habe ich mir irgendwie Schädlinge eingefangen. Trauerfliegen um genau zu sein. Die Fliegen legen ihre Eier in die Erde und die Larven beginnen dann Wurzeln und Pflanzen anzufressen. Es ist auch nicht unbedingt einfach sie wieder loszuwerden … Auch wenn ich mich sofort daran gemacht habe Maßnahmen zu ergreifen, als ich den Befall bemerkt habe – Pflanzen aus dem Topf nehmen, die Wurzeln abspühlen, mit neuer Erde wieder eintopfen – kam für Spikey jede Hilfe zu spät. Mein kleinster grüner Kaktus hat den Fliegenbefall nicht überlebt und war Innen schon fast vollständig hohl und abgestorben. Mir blieb wenig anderes übrig, als ihn in der alten Erde zu begraben und alles gemeinsam weit wegzubringen, damit zumindest meine anderen Pflanzen verschont blieben. Eine drastische Maßnahme, in der ich mir emotionales Zögern nicht wirklich leisten konnte, ansonsten hätte ich ihn vor dem Entsorgen vielleicht noch ein bisschen länger hiergelassen oder auch den Topf nicht sofort mit heißem Wasser ausgespült. 
Und ich muss zugeben: Ich habe um Spikey getrauert. Es war frustrierend, das kleine Pflänzchen unter meinen Fingern wegsterben zu sehen, obwohl ich mich bemüht habe, den Fliegen zuvorzukommen. Von allen Pflanzen, die mir je eingegangen sind, hätte ich Spikey wohl am liebsten gerettet. Schon allein weil ich so verärgert über mich selbst bin, dass ich den Fliegenbefall bei Spikey nicht schnell genug bemerkt hatte. Ich kann es jetzt nicht mehr ändern, aber bis jetzt habe ich Spikeys Topf nicht an eine neue Pflanze vergeben. Eigentlich wollte ich das dieses Jahr machen, aber irgendwie habe ich es dann doch nicht getan. Ich hatte auch nicht das Gefühl, dass der Topf für irgendwelche Küchenkräuter passt. Es müsste schon etwas Langjähriges sein, etwas was ein wenig länger bleibt … So etwas wie ein kleiner grüner Kaktus. Gleichzeitig weiß ich aber, dass ich am Ende wohl etwas vollkommen anders dafür auswählen werde. Schließlich kann ich nicht einfach einen neuen Kaktus kaufen. Keiner hat dieselbe Geschichte mit mir wie Spikey, den ich von Italien nach Österreich transportiert habe, der Jahre mit mir verbracht hat und den ich noch viel länger behalten hätte, hätten uns die Fliegen nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht. Am Ende werde ich wohl eine vollkommen andere Pflanze für den Topf auswählen. Eine die Spikey überhaupt nicht ähnlich sieht und einen unverwechselbar anderen Namen hat.
Vielleicht ist es nächsten Frühling so weit.

Sofern ein Mensch auch eine engere Bindung zu seinen Pflanzen eingeht und sie irgendwie am Leben erhalten möchte, kann es also auch zu eher frustrierenden Erfahrungen kommen. Ich habe nicht um jede Pflanze auf die gleiche Weise getrauert – manchmal ist es auch Zeit zu gehen – aber je mehr ich mich um sie bemühe und je mehr ich mich an den Anblick einer Pflanze in meiner Wohnung gewöhne, umso ungewohnter ist es auch, sie eines Tages dort nicht mehr zu sehen. Und um das Leben einer Pflanze zu kämpfen und sie trotzdem zu verlieren, ist manchmal auch ein wenig nervenaufreibend.
Ich bin schließlich für meine pflanzlichen Mitbewohner*innen verantwortlich. Ist ja nicht so, als könnten sie sich selbst einen sonnigeren/schattigeren Platz suchen, sich vor Schädlingen schützen oder die Wassermenge bestimmen, die sie bekommen.

Der Vorzug eines Partnermenschen wäre dafür, dass er/sie/x mir unter Umständen etwas klarer kommuniziert, wenn ihm etwas nicht passt und auch Fragen danach vielleicht mal mit größeren oder kleineren Formulierungsproblemen eine Antwort hat. Ich wäre also nicht darauf angewiesen, von Verfärbungen der Haut und ähnlichen Problemen abzulesen, wie es ihm/ihr/x gerade geht. Außerdem kann ich mit einem Partnermenschen vielleicht besser kuscheln, solange ich mich sensuell angezogen fühle und unter Umständen ist es auch angenehmer, ein sinnvolles Gespräch mit einem Menschen zu führen, der mir auch antwortet. Und wenn ich mal alleine sein möchte, kann ein Partnermensch meine Wohnung oder das Zimmer auch mal selbstständig verlassen. Gerade das ist mit Pflanzen eher schwierig. Die brauchen da viel mehr Hilfe und manchmal passt dann der neue Platz nicht wirklich oder macht andere Probleme. Auch wenn ich meine Pflanzen niemals missen wollen würde, hat es dann wohl Vorzüge, die mit einem Partnermenschen zu teilen. Und auch wenn ich momentan mit meinen Pflanzen vollkommen zufrieden bin, schließen sich die beiden Möglichkeiten ja auch nicht aus.
Wer weiß schon, ob ich meine Pflanzen irgendwann doch noch mit einem anderen Menschen teile. Intrinsisch motiviert dazu, mir einen Partnermenschen zu suchen, bin ich zwar nicht, aber ausschließen, dass es sich jemals wieder ergibt, werde ich es auch nicht. Und am Ende freuen sich meine pflanzlichen Mitbewohner*innen vielleicht sogar, mal andere Leute zu Besuch zu haben.
Wer weiß?

Ob ich auch mit meinen Pflanzen flirte, ist allerdings eine Frage, die ich mit ‚Nein‘ beantworten würde. Ich sitze manchmal lange bei ihnen im Raum, kümmere mich um sie. Ab und an streiche ich auch sanft über ihre Blätter, aber als Flirten würde ich das nicht bezeichnen.
Die Aussage, dass ich eine gewisse emotionale Bindung zu meinen grünen Mitbewohner*innen aufbaue, ist sicher korrekt. Und auch wenn ich sie nie für einen Partnermenschen aufgeben würde – Partnermenschen müssten schon mit meinen Pflanzen okay sein und sich gut vertragen – und die Frage, ob jemand einen Partnermenschen, Pflanzen oder beides haben möchte mit Sicherheit jedem selbst überlassen bleibt, würde ich behaupten:
Unsere Beziehung ist absolut platonisch.
Und damit auch meine pflanzenbezogene Freizeitgestaltung. 

~ Finn