Inhaltshinweise: Queerfeindlichkeit, internalisierte Queerfeindlichkeit,
Was das Feiern angeht, kann ich sicher noch einiges lernen.
Und auch was Stolz und Selbstakzeptanz angeht bin ich oft noch nicht dort, wo ich eigentlich sein könnte. Und es wäre nicht das erste Mal, dass mich eine andere Person fragt, wieso wir eigentlich stolz sein sollten, auf das was wir sind. Wieso sollten wir stolz auf etwas sein, wozu wir nichts getan haben? Ich habe nichts getan, um aromantisch zu sein, keine romantische Anziehung zu erleben und eine gewisse Romance-Aversion zu empfinden. Ich habe auch nichts dafür geleistet, nicht-binär zu sein, sondern viel mehr hat meine Nicht-Binarität über Jahre hinweg die Person beeinflusst, die ich jetzt bin, selbst als ich versucht habe, sie zu verdrängen und in einen tiefen Winkel zu versperren. Auch über diese beiden zentralen Label hinaus kann ich für mein Empfinden von Romantik, Sexualität, Beziehungen und meinem Geschlecht reichlich wenig. Ich habe sie mir nicht ausgesucht und habe nichts dafür geleistet.
Wieso also Stolz sein?
Weil ich es mir eben nicht ausgesucht hätte.
Mich selbst als die Person anzunehmen, die ich bin hat lange gedauert und ist nach wie vor ein laufender Prozess. Ja, ich bin weit gekommen in den letzten Jahren und weiß inzwischen, dass ich eigentlich gut so bin, wie ich bin. Ich weiß, dass weder meine Aromantik noch meine Nicht-Binarität etwas „Falsches“, „Schlechtes“ oder „Schuldhaftes“ sind. Ich bin nicht mehr die Person, die 2019 zum ersten Mal undercover einen CSD besucht hat, mit niemandem sprechen und nicht gesehen werden wollte, einen Flyer eingesteckt und den dann unten in irgendeiner Schublade versteckt hat, weil sie sich den Weg „zurück“ nicht verbauen wollte. Ich spreche offen über meine Erfahrungen und teile sie, damit Menschen, die ähnliches erlebt haben, wissen, dass sie nicht alleine sind. Ich möchte, dass sie sich weniger einsamer fühlen, als ich es getan habe und ich will, dass immer weniger Menschen sich so sehr schämen, dass ihr erster CSD so aussieht wie meiner.
Und obwohl ich weit gekommen bin seit meinem ersten CSD habe ich manchmal Momente, in denen ich alles andere als Stolz empfinde. Tage an denen ich mich dafür schäme, wer ich bin und an denen ich am liebsten weder aromantisch noch nichtbinär wäre und auch nie etwas über meine Sexualität herausgefunden hätte. Das sind Augenblicke, in denen ich mir wünsche, mich wieder in meine dunkle Ecke verkriechen zu können und so zu tun, als wäre ich cisgeschlechtlich, heterosexuell und alloromantisch. Eine leise Stimme in meinem Kopf erinnert mich dann daran, dass ich eigentlich weiß, dass das nicht viel besser ist. Immerhin hat das schon die ersten 22 Jahre meines Lebens eher schlecht als recht funktioniert und sich auch nicht sonderlich angenehm angefühlt. Scham ist kein angenehmes Gefühl und am Ende weiß ich, dass ich mich damals noch um einiges mehr geschämt habe als jetzt.
Jetzt habe ich immerhin etwas, das ich der Scham entgegensetzen kann.
Ich kann stolz sein.
Stolz auf den Weg, den ich bis jetzt gegangen bin.
Stolz darauf, dass ich Worte gefunden habe, um Dinge zu beschreiben, für die ich viel zu lange keine hatte. Stolz, dass ein fünf Jahre jüngeres Ich sich am 29. Juni 2019 weit weg von Zuhause anonym auf einen CSD getraut und einen Flyer eingesteckt hat, auch wenn ich ihn unten im Schrank versteckt habe, als kurz darauf eine Freundin zu Besuch kam. Ich kann stolz auf jedes Mal sein, dass ich mich getraut habe, mich zu outen und wie ich mit den Reaktionen umgegangen bin. Auf jedes Mal, wenn ich mich getraut habe, etwas zu sagen, wenn ich es wollte, auf jede InSpektren-Folge und als ich beim CSD in Karlsruhe vor zwei Jahren auf der Bühne war und von meinem Erleben sprechen konnte. Ich kann stolz auf jeden Moment sein, an dem ich eines dieser Worte benutze, die mich beschreiben und wenn ich mich traue, meine Beziehungen so zu verhandeln, dass ich mich damit wohl fühle und meine Bedürfnisse erfüllt werden. Ich kann stolz darauf sein, dass ich mich, mein Geschlecht aber auch meine Aromantik und Sexualität besser kennenlernt habe, dass ich weiß, was ich möchte und was nicht. Und ich bin stolz, dass es immer mehr Tage gibt, an denen ich keine Erinnerung brauche, um zu wissen, dass ich gut so bin, wie ich bin. Dass mit mir alles in Ordnung ist und ich nicht falsch oder kaputt bin.
Ich habe nichts dafür getan, dass ich aromantisch und nicht-binär bin.
Aber in einer Welt, die mir über Jahre wieder und wieder vermittelt hat, dass ich mich dafür schämen soll, habe ich eine ganze Menge dafür getan, dass dahin gekommen bin, wo ich heute bin. Und auch in Zukunft werde ich noch viel dafür tun, um auf diesem Weg weiterzukommen, bis ich irgendwann wirklich feiern kann, wer ich bin.
Darauf bin ich stolz.
Und dieser Stolz besiegt meine Scham.
~ Finn