Sichtbar, unsichtbar, anders sichtbar – Was denn nu?

Kann ich mich für Sichtbarkeit einsetzen und gleichzeitig unsichtbar sein?

Im ersten Moment scheint sich das auszuschließen, unsichtbar zu sein und sich für Sichtbarkeit stark zu machen. Aber so abwegig ist es vielleicht doch nicht.
Wenn ich mich innerhalb meines politischen Ehrenamts für die Sichtbarkeit des Aro-Spektrums einsetze, dann mache ich dass offen, bin out. Die Leute wissen Bescheid. Wenn ich mich anderweitig aktivistisch dafür einsetze, dann mache ich das meist geoutet.
Wenn ich mich innerhalb anderer Ehrenämter für Sichtbarkeit einsetze, dann mache ich das manchmal unsichtbar. Ich erzähle weder ich sei cis hetero, aber auch nicht, dass ich aroace agender bin. Ich weiß nicht ob ich es auf direkte Nachfragen hin verschweigen würde, es käme wohl auf die Situation an. Aber ich erzähle es auch nicht frei, weil viele kleine Bemerkungen und Stiche hier und da gegen LGBTQIANP+ Menschen und andere marginalisierte Gruppen keine offene, respektvolle Atmosphäre schaffen. Ich behalte es also aus Selbstschutz für mich. Gleichzeitig bin ich trotzdem sichtbar, als Person, die sich zumindest für queere Menschen und ihre Rechte einsetzt. So ganz unsichtbar bin ich dann also doch nicht, aber unsichtbar genug um im Zweifel der Zielscheibe auf mir entgehen zu können. Und es ist schwer zu verinnerlichen, dass das okay ist. Dass ich trotzdem an anderer Stelle für Sichtbarkeit kämpfen kann. Und ich habe gelernt, dass es unerwartet viele Möglichkeiten dazu gibt – im Kleinen und im Großen, sichtbar und unsichtbar für andere.

Sichtbarkeit des aromantischen Spektrums bedeutet für mich also nicht, dass ich selbst auch überall out sein muss, dass meine Label immer sichtbar sind. Sichtbarkeit heißt für mich viel mehr, dass z.B. das aromantische Spektrum sichtbar ist. Dass es in den Köpfen der Menschen präsent ist, mitgemeint, mitgedacht und mitgenannt wird.

~ Delfin