Ein erster CSD

Inhaltshinweise: Queerfeindlichkeit (insbesondere Trans*feindlichkeit und Homofeindlichkeit), Gegenparaden zum CSD

Samstag, der 29. Juni 2019. An diesem Tag war ich zum ersten Mal auf einem CSD.
Nicht in einer der Städte, in denen ich die meiste Zeit meines Lebens verbracht hatte; um genau zu sein, noch nicht einmal im selben Land. Meine erste Teilnahme an einem CSD fiel in mein Auslandsjahr. Das war wichtig. Und obwohl ich fast ein ganzes Jahr in Mailand verbracht, mich auch mit mir selbst auseinandergesetzt und meine Kämpfe ausgefochten hatte, war es gar nicht so einfach, überhaupt hinzugehen. Es war heiß, als ich mich mit meinem Rucksack und meiner Trinkflasche am Platz vor dem Bahnhof eingefunden habe. Ich war absichtlich knapp gekommen und musste trotzdem noch ein wenig warten, aber anstatt mich hinzusetzen, bin ich erst einmal eine Runde um das Bahnhofsgebäude und dann schweigend zwischen den Menschen durchgelaufen. Und irgendwann hat mich die Masse mitgerissen.
Laute und bunte Menschen. Anstrengend und heiß. Dazwischen die Sorge, wo ich Wasser herbekommen kann, weil ich zu wenig eingepackt hatte. Ich schaue mich um, lese die Banner und freue mich, einzelne Flaggen zuordnen zu können. Meine eigenen Gefühle waren wechselhaft und durcheinander. Mein erstes Highlight war eine demisexuelle Person. Sie hat ein Schild mit einem Kuchenstück und der Aufschrift (aus dem Gedächtnis übersetzt): „Kuchen ist fast immer besser als Sex, außer ich habe eine sehr enge Verbindung zu dir“. Ich erinnere mich an eine Person, die eine Transflagge umgebunden hatte und ein Pärchen; eine Person, die sich ein Herz in den Farben von Bisexualität auf die Wange gemalt hatte. Auch die Aro-Flaggen sind mir ziemlich deutlich im Gedächtnis geblieben. Ein paar Fotos habe ich auch gemacht und einer Freundin geschickt, die mich durch den ganzen Prozess ein wenig begleitet hat, aber ansonsten bin ich mitten in dem anstrengenden Lärm schweigend mit der Menge gelaufen. Die Highlights, wenn ich ein tolles Plakat sah oder die Flagge einer Person, die stolz ihre Identität kundtat, waren durchsetzt von der Frage, ob ich überhaupt hier sein sollte; ob ich, Finn, einen Platz in einer Pride-Parade und noch viel mehr zwischen diesen Menschen haben konnte; und den Nachwirkungen der Überwindung, die es mich gekostet hatte, herzukommen. Es wechselten Nähe- und Entfremdungsgefühl; Freude und Unsicherheit; Entschlossenheit, diese Entscheidung bis zum Ende durchzuziehen und das überwältigende Gefühl, so viele Menschen zu sehen, die Narrative jenseits dessen lebten, womit ich aufgewachsen war. Tatsächlich waren im Rückblick nicht nur die A*spec- und Non-Binary-Flaggen wichtig für mich. Mit inzwischen 23 Jahren stand ich plötzlich vor einer Fülle an Narrativen, die hier gefeiert und stolz zur Schau gestellt wurden. Davor hatte ich maximal zwei Wege gekannt, die als “gut” und ‚gottgewollt‘ bewertet worden waren. Zwar konnte mein Leben diesem Bild noch nie richtig entsprechen und meine eigene Wertung sah schon seit längerem anders aus, aber es war trotzdem ein Kampf gewesen, zu begreifen und zuzugeben, dass ich diesen Bildern in vielerlei Hinsicht weder entsprechen konnte noch wollte. Am Ende war es wohl nicht das Begreifen gewesen, das so schwierig gewesen war, vielmehr wohl das Ergebnis des Prozesses für mich selbst auch anzunehmen und zu entscheiden, es so zu akzeptieren; mich nicht mehr zu verstecken oder auf irgendeine Weise doch noch zu versuchen, Erwartungen zu erfüllen.
Trotzdem: Stolz auf meine Identität(en) habe ich keinen empfunden auf meinem ersten CSD. Und meine eigenen Flaggen zu feiern, stand mir zu diesem Zeitpunkt fern.
Umso besser war es, all die Menschen rund um mich herum zu sehen, die genau das taten. Die feierten, sichtbar waren und ihre Flaggen trugen, während ich schweigend zwischen ihnen durch die Straßen lief. Unsicher, ob ich überhaupt hier sein durfte und einen Platz haben konnte, aber auch froh darüber, trotz dieser Unsicherheit hergekommen zu sein.
Der CSD 2019 in Mailand war auch der/die erste Parade, Demonstration, Umzug oder Marsch gewesen, an der/dem ich wieder teilgenommen hatte, nachdem ich vier Jahre davor auf einer Gegenparade zum CSD in Wien sehr queerfeindliche und auch sonst schwierige Erfahrungen gemacht hatte. Nicht, dass ich in meinem Umfeld sonst nie Negativität gegenüber queeren Personen erlebt hätte, aber dieser eine Tag hatte dazu geführt, dass ich mich jahrelang von jeglicher auch nur annähernd einem Marsch ähnlichen Veranstaltung ferngehalten hatte – egal, ob nun politisch, religiös oder sonstwie motiviert. Das war eine Kommunikationsform, an der ich nicht mehr teilhaben wollte. Dann die Entscheidung zu treffen, ausgerechnet auf einem CSD aufzutauchen, war gar nicht so einfach gewesen. In diesem Sommer war ich irgendwo zwischen den Welten. Stolz oder Freude hatte ich noch nicht empfunden, aber ich hatte bereits begonnen, andere Narrative und Begriffe für mich zu benutzen. Ich war queer. Das war offensichtlich geworden und ich hatte mich entschlossen, es anzunehmen. An diesem Entschluss, den ich mir in den Monaten davor erkämpft hatte, wollte ich festhalten. Gleichzeitig wusste ich aber noch nicht, ob ich in dieser Pluralität von Narrativen und unterschiedlichen Menschen überhaupt willkommen oder gut aufgehoben war. Vier Jahre davor hatte ich die Zähne zusammengebissen und geschwiegen, als jemand die feiernden queeren Personen auf der Vienna Pride einem Kind gegenüber als „Menschen, die ganz böse Dinge tun“, beschrieben hatte; und als Personen nach der Lesung aus dem Römerbrief in der Früh, mutmaßten, dass Menschen nur „glaubten“, sie würden sich vom anderen Geschlecht angezogen fühlen, oder sich ihrem biologischen Geschlecht nur deswegen nicht zugehörig sähen, weil in ihrer Erziehung etwas schief gelaufen sei und sie sich mit dem „falschen“ Elternteil identifizierten. Ein Jahr später hatte ich mich zwar dann mehr getraut und widersprochen, als beim gemeinsamen Frühstück mit dem Gebetskreis eine Person eine Beschwerde vortrug, dass man „homosexuellen Menschen ja nicht einmal mehr sagen dürfe, dass sie krank wären und damit nicht unterstützen könne, dass sie Therapie suchen, die sie eigentlich bräuchten“, aber irgendwie hatte ich trotzdem noch nicht das Gefühl, mich wirklich zur queeren Community rechnen zu können. Mein Narrativ war durcheinander gekommen und irgendwie war ich in der „anderen Welt“ noch nicht ganz angekommen. Da half es, zwischen den Menschen unterzutauchen, anonym zu sein und einfach die Pluralität der Narrative auf mich wirken zu lassen. Da waren welche dabei, die mir für mein Leben passend schienen und auch wenn ich noch darum kämpfte, sie für mich anzunehmen, tat es gut, sie zu sehen. All die feiernden Menschen zu sehen half auch. Ich wusste nicht, ob ich wirklich eine Zugehörigkeit dafür annehmen konnte und wollte, aber einfach dabei zu sein, veränderte schon vieles. Irgendwo hatte ich mir noch einen Flyer geschnappt, bevor ich mich wieder auf den Weg zurück in meine Wohnung machte. Auch das war wichtig. Etwas vom CSD zu besitzen, machte die Erlebnisse echter und verfestigte sie. Ich hatte etwas, was mich daran erinnern konnte, dass ich mich getraut hatte.
Direkt danach habe ich, außer einer Freundin von mir, niemandem vom CSD in Mailand erzählt. Als eine andere Freundin mich am Wochenende besuchen kam, habe ich auch den Flyer, den ich dann doch irgendwo mitgenommen hatte, in einer Lade verschwinden lassen. Später in der Woche habe ich es dann doch gewagt, mit ihr vor allem über Gender-Identität zu sprechen. Bis zu meinem endgültigen Outing sollte es aber noch ein wenig brauchen und dass ich am CSD war, war nicht unbedingt etwas, das ich zu diesem Zeitpunkt weiter teilen wollte. Zu einem großen Teil war es noch mein persönliches Erleben und Geheimnis, von dem ich noch nicht wusste, wie ich damit umgehen sollte. Ich hätte nie wieder zu einem CSD gehen können. Und diese Freiheit war für mich dringend nötig. Mich darauf und auf mich selbst einzulassen, musste eine persönliche Entscheidung sein; eine, die niemand anderer für mich treffen hätte können.
Um irgendwann stolz zu sein, musste ich erst einmal einfach da sein.
In einem queeren Space existieren weit weg von daheim.

Dieses Jahr war auch ein erster CSD für mich.
Mein erster CSD in Wien.
Diesmal habe ich sogar jemanden mitgenommen. Diese Person war zum ersten Mal beim CSD und ich habe ihr meine Non-Binary-Flagge geborgt, weil sie selbst noch keine hat. Ich hingegen bin mit meiner Aro-Flagge mit der Menge gelaufen. Von Zeit zu Zeit habe ich dann noch eine Regenbogenflagge geschwenkt und/oder geholfen, einen A*spec-Banner zu tragen. Gleich zu Anfang bin ich einer Person begegnet, die sich riesig darüber gefreut hat, eine aromantische Flagge zu sehen und den Personen, die mich gefragt haben, was das denn für eine Flagge sei, habe ich neben einer Antwort prompt noch InSpektren-Sticker und AktivAro-Kärtchen angeboten.
Vieles hat sich verändert seit meinem ersten CSD vor drei Jahren.
Ich war nicht mehr anonym, sondern sichtbar.
Und ich möchte sagen, ich war stolz.
Stolz darauf, wie weit ich gekommen bin und welche Entscheidungen ich getroffen habe, stolz was ich selbst dazugelernt habe und stolz auf jede andere Person, die da war. Und auf jeden – nicht nur meine Begleitperson – der/die/x sich in diesem Jahr entschieden hat, zum ersten Mal auf einem CSD zu sein.
Vielleicht anonym.
So wie ich vor drei Jahren.

~ Finn