Ein Brief an die Amatonormativität

Liebe Amatonormativität,

mir fiel es zunächst nicht leicht diese Zeilen an dich zu zurichten, denn ich kritisiere nicht gerne. Manchmal aber ist es einfach nötig seine Perspektive mitzuteilen. Besonders bei einer lebenslangen Bekanntschaft, wie wir sie haben. Ich denke, da wirst du mir sicher zustimmen. Und zugegeben, fiel es mir mit zunehmenden Schreiben immer leichter, die Sätze aus meinem Inneren zu Papier zu bringen. Vermutlich bin ich auch nicht die einzige Person, die dich für deine übertrieben Erwartungen gerne mal in den imaginären Allerwertesten treten möchte. Natürlich nur im übertragenen Sinne, denke, wir verstehen uns da, denn Gewalt ist auch keine besonders konstruktive Lösung.

Jetzt fragst du dich vermutlich, was mich nach über 30 Jahren Bekanntschaft nun dazu getrieben hat, dir jetzt zu schreiben und Vorwürfe zu machen. Tja, der Punkt ist, dass ich inzwischen das aromantische Spektrum kennenlernen durfte. Ich mich allgemein mehr mit verschiedenen Anziehungsarten, Emotionen und Beziehungsmodellen beschäftigt habe. Darüber habe ich auch zum ersten Mal deinen Namen erfahren. Hieltest du den vorher bewusst vor mir geheim, so dass ich mich nicht beschweren konnte? Naja, das kann ich dir wohl kaum vorwerfen, denn ich hätte ja auch fragen können wie du heißt.

Ich versuch jetzt mal langsam zum Punkt zu kommen. Die Probleme, die ich mit dir habe, sind zum einen, wie ich bereits schrieb, deine übertriebenen Erwartungen, mit denen du Druck auf die gesamte Gesellschaft ausübst, und zum anderen dieses Alleinstellungsmerkmal, dass dein Lebenskonzept, das einzig wahre sei und wer dem nicht folgt, hat sich gefälligst als unglückliche*r Versager*in zu fühlen.

Versteh mich bitte nicht falsch, ich habe nichts gegen das Modell romantisch zusammengefundenes Ehepaar, wahlweise ergänzt zur Kleinfamilie, Marke Mitteleuropa von anno schieß mich Tod. Ich denke nur, du solltest langsam mal darüber nachdenken, ob das wirklich zeitgemäß ist, das unbedingt allen Menschen aufzudrücken. Ob sie wollen oder nicht. Es eben als das einzige Seelenheil zu verkaufen. Denn ehrlich gesagt, ist mir zumindest der Preis, den das in der Standardausführung Mutter-Vater-Kind, kostet, zu hoch. Trotzdem bewundere ich jeden, der das macht und damit glücklich ist. Ich freue mich für diese Menschen und wünsche mir einfach nur mehr Offenheit und Verständnis für andere Modelle.

Um deutlicher zu werden, möchte ich dir vor Augen führen, dass du mit deinem strikten Konzept versuchst, Milliarden von Individuen gleichzuschalten. Das entbehrt  meines Erachtens jeder Logik, dass das möglich sein soll, ohne dass es Abermillionen von ihnen zerbricht. Und ich denke auch, dass du es eigentlich gut mit uns Menschen meinen möchtest, und dein eigentliches Ansinnen vielleicht eher haltgebend ist. Aber gut gemeint ist leider nicht automatisch gut gemacht, und ich denke, das Konzept haben wir lange genug ausprobiert, um sicher zu sein, dass es einfach nicht für alle funktioniert.

Wie wäre es also mal für dich darüber nachzudenken, das Zepter der Alleinstellung abzugeben? Ich meine, wir haben alle deine Ideen verinnerlicht, und ich bin sicher, auch wenn du nicht mehr mit eiserner Hand regierst, wird es genügend Menschen geben, die deinem Beispiel folgen werden. Ist es nicht viel schöner, wenn sie das alle freiwillig tun und nicht, „weil man das eben so macht“?

Komm, gib dir einen Ruck, und lass Aromantik, queerplatoniesche Beziehungen, Poly sein, Freud*innenschaften und Co. auf Augenhöhe mitteilhaben am Weltgeschehen. Und sieh, wieviel bunter und schöner die Welt dadurch erstrahlen könnte.

In Freund*innenschaft und mit einem lieben Gruß,  

Noir

(Text von Noir für den Arospec-Week Poetry Slam 2023 zum Thema Aromantik trifft Romantik)